Wegziehen, Parastou Forouhar

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Katalogbeitrag zur Ausstellung Wegziehen, 
Frauenmuseum, Bonn, 2002

Als ich angefangen habe, die Schrift meiner Muttersprache an die Wände und auf den Boden der Ausstellungsräume zu malen, geschah das aus keiner schwerwiegenden konzeptuellen Entscheidung heraus. Es war ein eher unauffälliger Anfang.
Erst in der Wiederholung und Weiterentwicklung dieser Arbeit, im Prozess des Schaffens und besonders in der wiederholten Wahrnehmung der Momente, als die Schriftzeichen sich zwischen Wörtern und Ornamenten hin- und her geschoben hatten, hat diese Arbeit mir die damit verbundenen Fragen und Gedankenspiele gezeigt. Am Anfang, als ich nach der Bedeutung meiner Schriftzeichen gefragt wurde, konnte ich die Berechtigung dieser Frage nicht nachvollziehen. Die Frage wurde nicht sehr oft gestellt.

Für mich war die Schrift meiner Muttersprache dazu da, ihre verführerische und verwirrende Existenz vorzuführen, ihre Schwingungen vordergründig zu zeigen um die Bedeutung zu verstecken – vielleicht eher zu verlieren.
“Schau mal, wie schön und verführerisch ein Verlust aussehen mag”
Doch es ist das Pathos, das im Leben der Immigranten verankert ist, derjenigen, die weggezogen sind, mit Gepäck oder ohne, und die in einem Fluchtmoment alles zurückgelassen haben. Egal welche, sie haben vielleicht ihre Biographie in zahlreichen Schaukästen oder versteckten Schränken sortiert und archiviert, ohne Alltagsbezüge. Nur in mühsam hergestellten Momenten werden ihre Erinnerungen als Realität spürbar.
Nur mit Liebe zur Gegenwart versuche ich diese Grenze um mich herum zu durchbrechen, zu verflüssigen. Die lebendige Alltäglichkeit mit ihren Überraschungen und ihren wachsenden Details reinzulassen. Manchmal fließt nur die Banalität hinein, verbreitet sich schnell wie Unkraut und läßt gleichzeitig die starre Welt des Pathos attraktiv erscheinen. Es ist ein ewiges Hin- und Her in meinem Kopf. Ich bewege mich dazwischen, manchmal auf kleinstem Raum.

Die Schriftzeichen meiner Muttersprache, mit Liebe aneinandergereiht, definieren einen Zwischen-raum: Sie verwandeln sich in Ornamente, die nur die Erinnerung an die Bedeutungen der Worte durchschimmern lassen.
Auf leichten Pingpongbällen aufgebracht, rollen die Schriftzeichen auf dem Boden herum, stoßen aneinander, bilden aber keine Sätze. Im monotonen Klicken der Bälle wird der Versuch von Kommunikation verstümmelt.
Ihre Spuren, so flüchtig, daß sie nur einen Augenblick Fülle geben, bilden neue Muster, die sich dem Versuch, sie festzuhalten entziehen.
Wie meine Erinnerungen sind auch die Bälle Störfaktoren, ohne Zusammenhang zur alltäglichen Umgebung, die nur im Moment ihres plötzlichen Auftauchens in meinen Gedanken eine kurze Berechtigung haben.
Es ist eine provisorische Welt, die den Gesetzen der Realität eine einfache Poesie entgegensetzt.
Im Laufe der Jahre hat sich meine Muttersprache weggeschlichen und hat die ausgesprochenen Sätze mitgenommen. Die so vertrauten Worte meiner Mutter, der Klang der schönen Sätze, mit denen sich mein Vater von immer mir verabschiedete.
Vor ein paar Jahren habe ich eine Weile meine Kindheitserinnerungen geschrieben, auf Deutsch. Es war so, als würden sie sich mir entziehen, würden sich in die lautlose, wortlose Welt der Bilder verkriechen, wenn ich sie nicht in der Sprache schreiben würde, die zu meiner Alltagssprache geworden war. Ich habe die Texte nur meiner Freundin vorgelesen, einer deutschen Freundin, die sie nicht korrigieren wollte. Sie meinte, sie wären zu persisch für eine deutsche Korrektur.


Catalogue essay for the exhibition ‘Wegziehen’ at the Frauenmuseum, 2002
When I started painting the script of my mother tongue on the walls and floor of the exhibition rooms, this was not the result of a serious conceptual decision. It was more of an unremarkable beginning.
It was only when repeating and developing this work further, in the process of creation and especially in seeing again and again the moments when the characters of
the script shifted back and forth between word and ornament, that this work revealed its questions and intellectual games to me. In the beginning, when I was asked what my characters meant, I couldn’t understand the reasoning behind this question. The question didn’t come up very often.
For me, the script of my native language served to show off its seductive and disorienting existence, to display its curves overtly in order to hide its meaning – perhaps losing it instead.
‘Look how beautiful and seductive such a loss can appear.’ But such is the pathos anchored in the lives of immigrants, those who have migrated, with or without baggage, and who have left everything behind at the moment of escape. No matter what they were – perhaps they organised and archived their
biography in lots of display cases or hidden cabinets, without everyday associations.
Their memories become tangible reality only in painfully reconstructed moments.
It is only because I love the present that I try to break through and liquefy this barrier surrounding me; to let in the living everyday world with its surprises and its cumulative details. Sometimes only banality pours in, spreading quickly like weeds and at the same time making the frozen world of pathos seem attractive. It’s an eternal back and forth in my head and I move in between, sometimes in the smallest of spaces.

The script characters of my native language, strung together with love, define an in-between space: they are transformed into ornaments that reveal only the memory of the words’ meanings.

Applied to weightless ping-pong balls, the characters roll around on the floor, bumping against each other, but don’t form sentences. In the monotonous clicking of the balls, the attempt at communication is garbled. Their traces – so fleeting that they create fullness only for a moment – form new patterns that defy the attempt to hold on to them.

Like my memories, the balls are disruptive factors, unrelated to the everyday
environment, which are briefly rationalised in my mind only at the moment of their sudden appearance.
It is a temporary world that contrasts simple poetry with the laws of reality.
Over the years, my native language has slipped away and has taken utterances away with it: the familiar words of my mother; the sound of the beautiful sentences with which my father always said goodbye to me.
A few years ago I wrote down my childhood memories for a while, in German. It was as if they were going to retreat from me and hide away in the silent, wordless world of images if I didn’t write them down in the language that had become my everyday language. I read the texts just to my friend, a German friend who didn’t want to correct them. She said they were too Persian to be corrected by a German.

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