Die Waffen der Kunst, Sven Siedender

DIE ZEIT, 16. März 2015
Wie die Künstlerin Parastou Forouhar für die Freiheit eintritt – eine Ausstellung in der Villa Stuck in München.

Der märchenhafte Orient verwandelt sich in eine Schreckenswelt: Mitten im Museumssaal öffnet sich ein Brunnen, und wer hineinschaut, erblickt Folterszenen in Endlosschleife. Keine blutigen, brutalen Misshandlungen, sondern fein gezeichnete Choreografien, streng und symmetrisch arrangiert. Es ist ein schöner Schrecken, eine schreckliche Schönheit, darauf versteht sich die iranische Künstlerin Parastou Forouhar wie kaum jemand sonst.
Gerade ist sie in einer großen Ausstellung in München vertreten, zusammen mit einem Dutzend weiterer Künstler aus dem Nahen Osten. Sie zeigt eine farbenfrohe Tapetenwand aus Schmetterlingen, wieder ist es eine Verlockung – und wieder zerfällt die Verlockung auf den zweiten Blick, wenn man Blutflecken erkennt, Gitterstäbe, Massengräber. Geschundene Menschenminiaturen reihen sich aneinander wie die Muster eines persischen Teppichs.
Zugleich verbirgt sich im poetisierten Grauen eine Anspielung auf Forouhars Mutter, denn deren Vorname Parvâneh bedeutet nichts anderes als Schmetterling. Beide Eltern der Künstlerin wurden 1998 vom iranischen Geheimdienst ermordet. Damals lebte sie als Kunststudentin in Deutschland, um sich von den Zwängen des iranischen Regimes zu befreien, von Zensur und Willkür. An der Hochschule für Gestaltung in Offenbach experimentierte sie mit Zeichnungen, Fotografien, Installationen und computeranimierten Bildern, danach gründete sie ein Künstlerkollektiv und engagierte sich für Frauenrechte – bis die Nachricht vom Tod der Eltern sie am Telefon erreichte.

Ihre Eltern waren Symbolfiguren der iranischen Opposition, beide hatten sie jahrzehntelang für die Demokratie und die Abschaffung der Todesstrafe gekämpft. “Tausende Menschen folgten ihren Särgen durch die Gassen der Teheraner Altstadt”, erinnert sich die Künstlerin. “Mit dem Tod meiner Eltern wurde deutlich, dass das konservative Establishment im Land keinen Wandel zulassen wollte.”
Seit den blutigen Ereignissen von damals benutzt Parastou Forouhar ihre Kunst immer wieder als politische Waffe, wenngleich es sich meist um eine schwebende, zerbrechliche Waffe handelt. Mal füllt sie ganze Räume mit arabischen Buchstaben an Wänden, Decke und Boden, um der Autorität des geschriebenen Wortes und einer schriftlich fixierten Verbotskultur zu entkommen. Ein anderes Mal prangert sie mit viel Ironie die Unterdrückung der Frauen an und steckt Männerglatzen in Frauenkopftücher.

Eine weitere Arbeit, die sich stark aus persönlichen Erlebnissen speist, heißt Dokumentation, ein kafkaeskes Konvolut aus Protokollen, Recherchematerial, Presseberichten, Fotos und Briefen, die sie an Richter, Politiker und religiöse Führer verschickt hat. Mit im Raum der Ausstellung steht ein Kopierer, sodass die Besucher die Dokumente vervielfältigen und sich an der Aufklärungsarbeit beteiligen können.

Die 1962 in Teheran geborene Parastou Forouhar ist eine Kämpferin. Als ihre Anwältin, die Menschenrechtlerin und spätere Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, inhaftiert wurde, protestierte sie jahrelang und reichte schließlich Klage bei den Vereinten Nationen ein. Regelmäßig kehrt sie auch zum Todestag ihrer Eltern nach Teheran zurück, um eine öffentliche Gedenkfeier zu zelebrieren. Das wurde ihr inzwischen untersagt. Seither verwandelt sich an jedem 21. November die Gasse vor dem Elternhaus in eine Sicherheitszone: Polizisten sperren die Straße ab, sie kontrollieren die Passanten und lassen niemanden zum Haus. Drinnen trifft sich die Familie Forouhar und trauert. “Mit diesem Gedenken möchte ich das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zurückerobern”, sagt die Künstlerin.
Seit der Ermordung der Eltern habe sich viel verändert in ihrer iranischen Heimat, findet Parastou Forouhar. “Die Gitterstruktur des totalitären Systems ist aufgebrochen.” Es gebe noch Bevormundung und Willkür, aber die Emanzipation sei nicht aufzuhalten. “Für meine nächste Arbeit reise ich im Sommer wieder nach Teheran”, sagt sie und lächelt. Dort wird sie einen Friedhof am Rande der Stadt aufsuchen und Material über die Ermordung iranischer Regimegegner sammeln, bewaffnet mit einer Foto- und Filmkamera.
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