FAZ, 10.04.2002
Natürlich kennt die Künstlerin diese Szenen. Drangsalierung und Gängelung, Repression und Bespitzelung, Willkür und absurde Szenen bei Ämtern, Behörden und Gerichten in Teheran. Aber anders als noch in ihrer Arbeit mit Briefen, Eingaben und Zeitungsausschnitten, die, vor gut einem Jahr an gleicher Stelle zu sehen, Parastou Forouhars Bemühungen um die Aufklärung des Mordes an ihren Eltern dokumentierte, ist “Schuhe ausziehen” eine Installation, die die rein persönliche Ebene verlässt.
Das Schaufenster des Frankfurter Ausstellungsraums de Ligt ist geschlossen. Allein der Bildschirm eines Fernsehers ist zu sehen, über den in scheinbar unendlicher Folge Zeichnungen in Schwarz-Weiss vorüberziehen. Ein knapper Satz kommentiert die Situation vor dem Militärgericht, bei der Dokumenteneinsicht oder in einem Imbiss: “Gerade sitzen”, “Schuhe ausziehen”.
Im Inneren des Ausstellungsraumes hängen die von klaren, schwungvollen Linien geprägten Zeichnungen in verkleinerter Form noch einmal an der Wand, wo man sie genauer studieren kann. Im Hintergrund sind auf einem wandfüllenden Stadtplan der iranischen Hauptstadt die Orte des Geschehens markiert. Und erst jetzt wird deutlich, warum die Arbeiten so beunruhigend wirken: Keine der Personen hat ein Gesicht, nur ein blinder Fleck leuchtet dem Betrachter entgegen. Da war sie einmal, die Persönlichkeit, das individuelle Schicksal; hier sind alle gleich, im schlechtesten nur denkbaren Sinne, nämlich nichts.
Nur die Mächtigen, Ajatollahs und Militärs, heben sich ein wenig ab: Der Bart gibt ihrem Antlitz Kontur.
Diese verschwundene, unerwünschte Individualität steht auch im Zentrum der Fotoarbeiten der 1962 in Teheran geborenen Forouhar, die zur Zeit unter dem Titel “Blind Spot” in der “AusstellungsHalle Schulstrasse 1A” zusehen sind. Vor allem die grossen Formate bestechen in ihrer Wirkung. Die Künstlerin, die in Teheran und an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung studiert hat, lichtete für diese Serie Männer im Tschador ab und liess sie dabei so posieren, dass allein der kahle Hinterkopf und gelegentlich eine Hand daraus hervorschauen.
Freigestellt vor rein weissem Hintergrund, scheinen die Figuren beinahe zu schweben, wird der Mensch unter dem faltenwefenden Tschador auf manchen Bildern zur Plastik, zu reiner, ästhetisch als schön empfundener Form. Politische Aussage, Geschlechterfragen und formales Arrangemant der Fotografien verschwimmen in jedem einzelnen Bild, verunsichern und verwirren den Betrachter durch ihre ambivalente Wirkung. Eindeutige Interpretationen verbieten sich.
Aber eines ist klar: Auch hier fehlt das Gesicht, behauptet sich statt dessen eine Leerstelle. Nur der Haarkranz, der in der gebotenen Ansicht an einen Bart gemahnt, verweist auf die Herrschaft der Ayatollahs. Der Macht und ihren Opfern, beiden, so offenbar das Bestreben Parastou Forouhars, gilt es, ein Gesicht zu geben.
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