Am 28. Mai erhielt ich eine Nachricht aus Teheran, die mit „sehr dringlich“ gekennzeichnet war. Sie beinhaltete mehrere Links, die mich zu einigen Webseiten der Nachrichtenagenturen der Hardliner im Iran führten.
Eine kurze Textpassage wiederholte sich fast identisch unter unterschiedlichen Headlines – die sich in ihre Schärfe überschlugen, um ihre gemeinsame Devise in Bezug auf den Vorwurf der Blasphemie gegen mich zu betonen. Laut dem Gesetz der Islamischen Republik Irans ist Blasphemie ein Delikt, das mit einer Haftstrafe von drei bis zehn Jahren geahndet wird. Als Beweis für diesen Vorwurf wurde eine meiner künstlerischen Arbeiten, der Installation “Countdown“, aufgeführt und auch abgebildet, die ich im Jahre 2008 hergestellt und seitdem bei diversen Ausstellungen gezeigt habe, zuletzt im Jahr 2013 in der Kunsthalle Lingen.
Bei der Installation handelt es sich um eine Anzahl von Kunstobjekten, deren Form aus den seit der Hippie-Bewegung in die Mode gekommenen Sitzsäcken abgeleitet ist. Auf jedes dieser Kunstobjekte sind Ausschnitte von religiösen, schiitischen Bannern appliziert worden. Solche Banner, eine Mischung aus Kalligrafie, Mustern und grellen Farben, werden im Iran als Massenware hergestellt und bei der Trauerzeremonie für den dritten Schiitischen Imam, Imam Hussein, als Ausstattung eingesetzt. Sie werden als Fahnen aufgehängt; die Innen- und Außenwände von diversen Gebäuden werden mit diesen Tüchern abgedeckt, aber auch Rednerpulte, Bühnen, Treppen Geländer, LKWs, Busse, PKWs und einiges mehr. Sie werden zu Applikationen, die sich über das Stadtbild ziehen.
Die Wiederentdeckung meiner Kunstobjekte geht auf eine Fotografie zurück, die eine in London ansässige iranische Juristin und Menschenrechtlerin von sich zusammen mit einem der Objekte gemacht und auf ihrer Facebook und Instagram Seite veröffentlicht hatte.
Das Bild zeigt die Frau sitzend auf dem Objekt, während sie ein Glas in der Hand hält, das eine farblose Flüssigkeit beinhaltet. Sie lächelt in die Kamera. Innerhalb kurzer Zeit löste dieses Bild eine Welle der „Empörung“ in den sozialen Netzwerken aus, begleitet von Mord- und Gewaltandrohungen gegen die Juristin, aber auch gegen mich als die Verfasserin „des blasphemischen Objektes“.
Die Nachrichtenagenturen der Hardliner nahmen diese Welle zum Anlass, um sich als Sprachrohr des „aufgebrachten Volkes“ zu profilieren und juristische Maßnahmen zu verlangen. Es wurden zahlreiche Meldungen veröffentlicht und einige „Experten“ interviewt. Dabei wurden erneut „Imperialismus und Zionismus“ als Drahtzieher entdeckt und „geheime und teuflische Machenschaften“ aufgedeckt, die die „Überfremdung der eigenen, schiitischen Kultur“ zum Ziel hätten. Dem altbekannte Muster solcher Hetze entsprechend, wurden Feminismus, Säkularismus und der Glaube an die Universalität der Menschenrechte als Doktrin des „Staatsfeindes“ stigmatisiert.
Solche Hetzen sind ein immer wiederkehrendes Muster in der zeitgenössischen Geschichte Irans. Sie werden zur Isolierung und Diskriminierung der Andersdenkenden eingesetzt. Mal ziehen sie brutale Überfälle „des spontan agierenden Volkes“ nach sich, mal führten sie zu einer fortlaufenden Negativpresse, die die Abkapselung der Zielperson aus der Gesellschaft bewirkt, mal liefern sie Anlass zur juristischen Verfolgung.
Das Bild hatte ich schon am Anfang seiner Veröffentlichung auf Facebook gesehen. Die Wucht der Reaktionen, die es nach sich zog, habe ich nicht vorhersehen können. Dass ein privates Bild einer anderen Person zusammen mit einer alten Arbeit von mir, die der Öffentlichkeit schon längst über Medienberichte, auch farsi-sprachige, bekannt war, als Vorwand zu meiner Diffamierung eingesetzt wurde, erschütterte mich zutiefst. Dass meine künstlerische und politische Reputation, die ich hart und mühsam erarbeitet habe, so dreist denunziert wurde, machte mich traurig und wütend. Jedoch war mir schon von Anbeginn klar, dass dieser Schwindel das Unterbinden meines Engagements zur Erinnerung und Aufklärung der politischen Morde, und die damit verbundenen Reisen in den Iran, zum Ziel hatten. Ebenso wie kontinuierlich eingesetzte, weitere Einschüchterungsmethoden der Kontrollorgann der Islamischen Republik gegen mich.
Ich habe mich am 13. Juni in einem Schreiben an die iranische Öffentlichkeit gewandt, um die Geschichte von meinem Standpunkt aus zu erzählen und die Missverständnisse bezüglich meiner künstlerischen Arbeit auszuräumen. Im Vorfeld waren bereits einige Artikel in den farsi-sprachigen Medien außerhalb des Iran veröffentlicht worden, um die Hetzkampagne anzuprangen und deren manipulierende Ziele zu erörtern.
In den ersten Tagen dieses Spektakels ist eine Gruppenausstellung in einer Teheraner Galerie, die unter anderem meine Arbeiten zeigte, frühzeitig beendet worden, um potenzielle Angriffe zu verhindern. Eine weitere Gruppenausstellung, zu der ich eingeladen war, habe ich selbst abgesagt, um meine Kollegen zu entlasten. Da aber mein Name auf der Vorankündigung der Ausstellung erschienen war, wurde die Galerie von einem „Reporter“ einer der Nachrichtenagenturen der Hardliner aufgesucht. Der Kurator musste sich einem verhörähnlichen Interview aussetzen. In einem am 14. Juni veröffentlichten Bericht ist meine Beteiligung an der Ausstellung als „Vergehen“ und ich selbst als die „Anti-Religion Künstlerin“ bezeichnet worden. Seitdem habe ich keine weiteren Medienberichte über diese Thematik auffinden können
Die bittere Erfahrung der letzten Monate zeigt eine heimtückische Verfahrensweise der Kontrollorgane des Regimes gegen mich und meine Anliegen. Die hinterhältigen Einbrüche in dem Haus meiner Eltern, welches im kollektiven Bewusstsein zu einem Ort der Erinnerung und des Widerstands geworden ist, bekräftigt diese Annahme. Die Spuren der Einbrecher, die Gegenstände entwendet und eine maßgebliche Verwüstung und Zerstörung des Ortes hinterlassen haben, setzt sich nun in der Kampagne gegen die gesellschaftliche Integration und Reputation meiner Person fort.
Bei meinen letzten Aufenthalt im Iran im Februar und März diesen Jahres, während ich das beschädigte Haus wieder aufgebaut und sein gebrochenes Bild wieder hergestellt habe, wollte ich in Zusammenarbeit mit einem Verlag ein kleineres künstlerische Projekt realisieren. Mit einer ungeläufigen Härte wurde ein Verbot über das Projekt erhängt. Bei einer Verhörsitzung wurde dem Verleger mitgeteilt, dass nicht das Kunstprojekt, sondern die Künstlerin der Beweggrund dieses Verfahrens sei. Auch diese Aussage bezeugt eine von langer Hand geplante Verbannung meiner Person aus der Gesellschaft.
Für mich bleibt nun abzuwarten, wie sich diese Prozedur entwickeln wird – bis zu meiner nächsten Reise in den Iran zum Anlass des Gedenkens an meine ermordeten Eltern im November.
Parastou Forouhar, 28.06.2016
Das Schreiben ist im IRANJOURNAL veröffentlicht und mit weitere Hintergrundinformationen velinkt: http://iranjournal.org/politik/iran-forouhar