Das totalitäre Ornament, Werner Bloch

Süddeutsche Zeitung, Sep. 2009

Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar kämpft gegen die Mörder ihrer Eltern. Mit vertrackten Bildern, mit Witz und Ironie.

Am liebsten würde sie einfach da sitzen bleiben, wo sie die letzten Tage zugebracht hat: vor dem Computer. Die Dauerrecherche im Internet hat Parastou Forouhar schwarze Schatten unter die Augen gemalt. Eben kam die Nachricht, dass die Zahl der Getöteten und Verhafteten bei den jüngsten Demonstrationen alle Angaben noch übersteigt. In einem Kühlhaus im Süden von Teheran, das eigentlich zur Lagerung von Nahrungsmitteln dient, liegen Dutzende Leichen, berichtet ein Angehöriger, der ein Opfer staatlicher Gewalt identifizieren musste.
Parastou Forouhar versucht, sich ein Bild von der Lage in ihrer Heimat zu machen. Sie telefoniert mit Freunden, schickt E-Mails und bekommt Botschaften, wie gerade eben die von einer Künstlerkollegin aus Teheran, die ihren Namen nicht in der Zeitung gedruckt sehen möchte. Forouhar, 47, ist eine der prominentesten Künstlerinnen Irans. Sie wird in Galerien und Museen gefeiert. Seit 1991 lebt sie in Frankfurt, nach einem Kunststudium in Teheran. „Mich wundert die aktuelle Eskalation der Lage nicht”, sagt sie ein wenig müde. Es sei ja alles nach dem Amtsantritt von Mahmud Ahmadinedschad noch viel schlimmer geworden. Freiräume seien Schritt für Schritt zurückgedrängt worden.
Natürlich, stöhnt Parastou Forouhar, versuchen die Künstler, neue Freiheiten zu schaffen, vor allem im Internet. „Aber auch die Regierung versucht, neue Barrieren zu bauen. Das alles sind rote Linien.” Gerade erst hat die Regierung die Übertragungsgeschwindigkeit im Internet gedrosselt – es ist jetzt kaum noch möglich, Webseiten zu öffnen. Vielleicht wird dies der erste Konflikt, der durch die Schlacht ums Internet mitentschieden wird.
Für Parastou Forouhar ist der eiserne Griff der Islamischen Republik besonders unerträglich. Ihre Eltern, beide Reformpolitiker (ihr Vater war sogar Minister in der ersten Regierung nach dem Fall des Schah) wurden 1998 von Schergen der Islamischen Republik in ihrem Schlafzimmer ermordet – mit Dutzenden Messerstichen, auf besonders brutale Weise, die offenbar abschreckend wirken sollte. Es war der Beginn der sogenannten Kettenmorde, die in der ganzen Welt Aufregung auslöste.

Seitdem kämpft die Frau mit dem kurzen schwarzen Haar und den markanten Gesichtszügen dafür, dass die Verantwortlichen verurteilt werden. Jedes Mal zum Todestag ihrer Eltern reist sie nach Teheran und organisiert kleine Happenings. Unzählige Male hat sie vor Gericht Klagen eingereicht, Beweismittel vorgelegt, Artikel und offene Briefe verfasst. Nachzulesen in einer „Chronik von der Ermordung unserer Eltern”. Sie stellte ihre Recherchen ins Internet und hat damit immerhin einige Erfolge erzielt. Insgesamt 18 Personen wurden bereits vor Gericht gestellt und teilweise verurteilt.
Aber zufrieden ist sie nicht. „Der Richter hat mich gefragt, ob ich als Angehörige die Blutrache will. Stellen Sie sich das vor! Ihr ganzes Leben haben meine Eltern gegen diese archaische Barbarei gekämpft, und jetzt soll ich für die Blutrache sein!”
Immerhin: Das iranische Informationsministerium musste zugeben, dass Angestellte des Geheimdienstes in den Mord verwickelt waren. In einem Prozess vor einem Militärgericht wurden Haftstrafen und sogar zwei Todesurteile ausgesprochen, allerdings nicht vollstreckt. Bestraft wurden nur die Handlanger des Systems – das ist es, was Parastou Forouhar wütend macht. Der Hauptverdächtige, ein Stellvertreter des Informationsministers, soll sich im Gefängnis umgebracht haben. Doch der mutmaßliche Strippenzieher, der verantwortliche Informationsminister selbst, ein Ayatollah, ist heute Generalstaatsanwalt in Teheran. In dieser Position entgeht er jeder Strafe und kann umgekehrt seine Gegner bequem weiterverfolgen.
Parastou Forouhar kämpft weiter – auch mit den Mitteln der Kunst. Die stellt sie weiterhin in Iran aus – gegen unglaubliche Widerstände. Einmal wollte sie in einer großen Galerie in Teheran eine Serie von Fotografien zeigen: kahlrasierte Hinterköpfe von Männern, die einen Tschador trugen. Es dauerte nicht lange, bis von Seiten der Regierung Drohungen eingingen. Zwei Tage vor der Eröffnung erhielt ihre Galeristin einen Anruf vom Kulturministerium mit der „Empfehlung”, sie sollte bitte die Ausstellung nicht eröffnen. „Das bedeutet: Es können Schlägertrupps vorbeikommen, alles kann kurz und klein geschlagen werden, und da haben meine Galeristin und ich zusammengesessen und gefragt: Was können wir tun?”
Die Lösung war intelligent und so hintersinnig und humorvoll, wie man sich nur verhalten kann in einem diktatorischen System: „Da haben wir gedacht: Wir machen das so, dass wir die Bilder aus den Bilderrahmen rausschneiden und nur die leeren Bilderrahmen zeigen, das wird dann die Situation bei der Eröffnung sein.”
So gab es eine Ausstellung mit leeren Bilderrahmen – und die Besucher kauften sie sogar. Denn jeder von ihnen wusste genau, worum es geht.
Findig sind sie, die jungen Iraner. Da wird selbst das An- und Ausschalten des Stromschalters zu einer Kunstaktion. Wenn Ahmadinedschad im Fernsehen spricht, werfen viele Iraner ihre Stromfresser an – dann bricht der Strom zusammen, es kommt zum Blackout und der Präsident wütet in einem medialen Vakuum.
Ein Kampf um Bilder, das ist auch die jetzige Machtprobe zwischen Regierung und Opposition. Und den versuchen die Reformer auf ihre Weise zu gewinnen. Junge Frauen sind jetzt auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen, auch in Europa. Schöne, attraktive Iranerinnen mit grünen Kopftüchern und weißen Handschuhen, die charismatisch Sprechchöre anführen. Oder man sieht ein junges Paar auf einem Teppich während des Freitagsgebets, die Frau mit nackten Armen und Sonnenbrille, aber eben betend – ein Bild, das im Widerspruch steht zu allem, was der Klerus durchgehen lässt.
„Besonders viele Frauen sind bei den Demonstrationen vertreten, weil die Islamische Republik so männlich auftritt”, erklärt Parastou Farouhar. „Je brutaler die Regierung, desto weiblicher der Widerstand.” Jeden Samstag versammeln sich jetzt die Mütter der Verhafteten und der Vermissten in einem Teheraner Park. Neda, die junge ermordete Demonstrantin, ist ja längst zur Ikone der Revolution geworden.
Hinzu kommt der Wille, individuell aufzutreten, also nicht nur, wie noch bei den Massenprotesten gegen den Schah, allgemeine Parolen zu rufen, sondern mit eigenen originellen Texten zu überraschen. Und witzig zu sein. Humor, Witz und Ironie – sie sind die schärfsten Waffen gegen ein gewalttätiges Regime.
Parastou Forouhar hat das in ihren Werken zur Vollendung gebracht. „Rendi” heißt das auf Persisch, die Kunst, Perspektiven zu verdrehen und mit subtiler Komik Verwirrung zu stiften. Zum Beispiel das in der persischen Kunstgeschichte so wichtige Ornament: „Nichts ist so totalitär wie das Ornament”, sagt Parastou. In seiner zwanghaften Ordnung wird alles Widersprüchliche, Stachelige, Individuelle ausgeblendet. Deshalb entwirft sie Tapeten mit alten persischen Mustern – doch wer genau hinsieht, erkennt Folterszenen.
Es sind solche kleinen subversiven Aktionen, mit denen Parastou Forouhar dem System ständig Nadelstiche versetzt. Sie zeigt die Absurdität der Islamischen Republik und deren hässliches Gesicht – zum Beispiel, indem sie einfach das gute alte Daumenkino einsetzt. Man blättert die Seiten eines Büchleins, ohne groß nachzudenken, durch und bemerkt entsetzt, wie sich aus dem Comic ein kleiner Film entwickelt, bei dem eine Frau gesteinigt wird. Der Leser ertappt sich dabei, dass er gerade eine Folterszene nachgespielt hat. Niemand sei eben unschuldig, sagt Parastou Forouhar, auch nicht der Betrachter.
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