PARASTOU FOROUHAR IM DEUTSCHEN DOM, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Bundestages von Andreas Kaernbach, 2005
„TausendundeinTag“ – der Titel der Installation von Parastou Forouhar ruft Erinnerungen wach an orientalische Märchenwelten, an die Erzählungen aus „Tausend und einer Nacht“ der Scheherezade, und so könnte man versucht sein, von der iranischen Künstlerin eine exotische Sicht auf ihre Heimat zu erwarten. Solche Versuchung begegnet uns im Deutschen Dom: Hier hat Parastou Forouhar einen Brunnen gebaut, in dessen Mitte sich Figuren bewegen, Figuren, die lediglich mit ihren Umrisslinien gezeichnet sind, wie wir es von Comic-Figuren kennen, Figuren, die auf dem Wasserspiegel des Brunnen wie in einem Kaleidoskop ornamental gruppiert sind. Doch der zweite Blick in den Brunnen enthüllt eine furchtbare Wahrheit: Es wird deutlich, daß die Bilder Folterszenen zeigen, daß sie die alltägliche Gewalt der Folter, insbesondere gegen Frauen im Iran widerspiegeln. Doch diese Erkenntnis stellt sich zögerlich ein, denn zunächst wirken die zeichenhaften Schablonenfiguren harmlos wie Kinderzeichnungen oder persische Teppichmuster. Die pastellartigen Farbtöne fördern diesen Eindruck, die langsamen ruckartigen Bewegungen der Figuren lassen gleichfalls eher an Bilder der „animated comics“ denken. Daß hier Menschen gequält oder gesteinigt werden, daß hier Täter und Opfer gesichtslos sind und infolgedessen auch diese Grausamkeiten als zeit- und ortlos erfahren werden sollen, all dies erschüttert durch den Gegensatz von Darstellung und Erzähltem. Gerade das süße Gift scheinbarer Harmlosigkeit brennt um so schmerzhafter und wird zum eigentlichen Thema der Installation der Künstlerin, nämlich zu der Frage nach der Psychologie und der Mechanik des Bösen, die dank dem Schlafmittel der Gewöhnung und einer bequemen Lust an der Unfreiheit höchst wirksam ist.
Parastou Forouhar hat selbst geschildert, wie eine unverfängliche oder nur scheinbare Harmlosigkeit von Bildern instrumentalisiert werden kann, um autoritäre gesellschaftliche Strukturen zu rechtfertigen und durchzusetzen. Sie hat beschrieben, wie den Studenten an der Kunstakademie Teheran die altpersische Miniaturmalerei aufgrund ihres ornamentalen Charakters als gesellschaftliches Leitbild gedeutet und als Ideal vorgestellt wird. Deren ornamentale Struktur spiegele ja, so argumentieren die Lehrer an der Akademie, eine ideale Gesellschaftsordnung wider, in der der Einzelne sich dem größeren Ganzen zu unterwerfen, sich darin einzuordnen habe. Sie habe sich gegen eine solche Vereinnahmung gewehrt, habe sich diesem autoritären Leitbild entzogen. Ihr Unbehagen gegenüber diesen ästhetisch-gesellschaftlichen Leitbildern beschreibt Parastou Forouhar auf einem Vortrag im Jahre 2002 wie folgt: „Die Menschen bekommen ihren Platz, ihre Körperhaltung und ihre Farbe zugewiesen, so daß sie durch ihre Präsenz die ornamentale Ordnung und die allgemeingültige Aussage bestärken. Ich bin mit großer Anstrengung dieser Rolle entkommen und weigere mich, in einen ähnlichen Zustand zurückzufallen und mich in die erstickende Welt der Muster zu begeben.“
Deutlich klingt aus diesem Zitat der autobiographische Ansatz des Schaffens der Künstlerin heraus. Sie gehört einer Generation jüngerer Künstlerinnen und Künstler an, denen eine selbstverliebte, nur sich selbst thematisierende Kunst verräterisch ist als Rechtfertigung für die widerspruchlose Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse. Parastou Forouhar hingegen will mit ihrer Kunst Stellung beziehen zu Gesellschaft und Politik, und sie bekennt sich zum autobiographischen Hintergrund ihres Engagements. Diese engagierte Auseinandersetzung mit den Bildern als Symbolen staatlicher Macht legt es daher nahe, ihre Installation im Deutschen Dom zu zeigen. Es ist der Ort, an dem der Deutsche Bundestag sich und seine Geschichte den Bürgerinnen und Bürgern vorstellt. An diesem Ort kann nachvollzogen werden, mit welchen Bildern der deutsche Staat und insbesondere sein Parlament sich im Laufe der Jahrhunderte präsentiert haben. Dieser Aspekt, die Untersuchung der Selbstdarstellung und Verherrlichung staatlicher Gewalt durch Bilder, ist einer der wichtigsten in Forouhars Werk. Auch wenn im Vordergrund dieser künstlerischen Recherche zunächst ein konkretes Regime, das der Mullahs im Iran, steht, ist es doch eine Recherche, die auch uns hier in Deutschland betrifft. Gewalt hat in unserem Land andere Ausdrucksformen gefunden, aber die Bilder der Gewalt hierzulande beispielsweise im Genre des bewegten Gewalt-Comics, des Computerspieles, ähneln auffallend den von der Künstlerin angeprangerten. Die zeichenhaften, vermeintlich nur für Spiel und Wettkampf entworfenen Figuren folgen blutigen Choreographien des Todes, offenbaren eine kaum zu überbietende Menschenverachtung. Der Staat hat längst resigniert und sich mit der Verbreitung dieser Bilder selbst auf Schulhöfen abgefunden. Es ist offenkundig, welche Konsequenzen die Virulenz der Gewaltverherrlichung durch diese Bilder für unsere Gesellschaft hat: Tagtäglich sind wir mit den Folgen dieser Verharmlosung von Gewalt, den Folgen dieser Verführung zur Gewalt durch Bilder, nicht zuletzt auch durch entsprechende Bilder in den Medien konfrontiert.
Trotz dieser kulturübergreifenden Kritik der Künstlerin ist der Urgrund ihres Schaffens in einer charakteristischen Ambivalenz von Wertschätzung des Eigenen und Ablehnung der darin verborgenen Abgründe, also in der Geschichte und den Traditionen ihres Heimatlandes zu finden. Ihre Eltern hatten bereits gegen das Schah-Regime für Demokratie und Aufklärung gekämpft, hatten sich mit dem Sturz des Schah am Ziel ihrer Wünsche gewähnt und mussten erleben, wie die bürgerlichen Intellektuellen rasch durch religiöse Eiferer von der Macht verdrängt wurden. Es sollte noch schlimmer kommen: Ihre Eltern schienen dem Regime als prominente Oppositionspolitiker so gefährlich, daß sie vom staatlichen Geheimdienst eines Nachts grausam ermordet wurden. Parastou Forouhar hat aus dieser Tragödie neue Kräfte geschöpft, gegen das Mullah-Regime anzukämpfen. Sie besteht gegen alle Beschwichtigungsversuche des Regimes auf der vollständigen Aufklärung des Mordes, führt diesen Kampf unter Gefahr für das eigene Leben sogar im Iran selbst und hat ihre Bemühungen, den endlosen, fast kafkaesken Schriftverkehr mit den Behörden, ihr Werben um politische Unterstützung im Ausland in einer beeindruckenden Dokumentations-Installation der Öffentlichkeit gezeigt.
Das gleiche Thema greift Parastou Forouhar weniger dokumentarisch, mehr erzählend in einer nicht weniger beeindruckenden Bildfolge auf, nämlich in der Bilderzählung „Schuhe ausziehen“, die sie erst kürzlich im Einstein-Forum Potsdam gezeigt hat. Das Genre der Bilderzählung erfüllt sie mit neuer Lebendigkeit durch die Klarheit des auf Schwarz und Weiß reduzierten Spiels der Linien und Flächen. Geschildert wird der demütigende und entnervende Gang zu den Behörden, bei dem Frauen ständig Anweisungen und Kontrollen unterworfen sind, stundenlang auf hinhaltende und nichtssagende Auskünfte warten müssen und ihnen so ihre Ohnmacht vor der Willkür staatlicher Behörden vor Augen geführt wird. Die Bildfolge schildert Parastou Forouhars eigenen Weg in Teheran, ihren Versuch, Auskünfte bei der Behörde über den Stand der Ermittlungen im Fall der Ermordung ihrer Eltern zu erhalten.
Und auf eine wieder andere intelligente und originelle Weise stellen von ihr entworfene Piktogramme Bilder zur Diskussion, die zwischen Tradition und Moderne, zwischen heimatlicher und westlicher Kultur aufklärerisch wechseln. Piktogramme sind einerseits ein vertrautes Verständigungsmittel für Reisende in einer internationalisierten Welt, also eine sehr moderne globale Form der Kommunikation. Aber Forouhar unterlegt ihren Piktogrammen die unmissverständlich ironische Aufforderung, die traditionellen Regeln, wie z. B. die der Geschlechtertrennung im Islam, ja einzuhalten. Wieder fallen die moderne Erzählweise und das als mittelalterlich verstandene Erzählte in einer für die Künstlerin charakteristischen Weise auseinander – mit unverkennbar spöttischer Ironie.
Auf dem Hintergrund der eignen schmerzhaften Erfahrungen der Künstlerin verwundert es nicht, daß die Ambivalenz von Begeisterung für die persische Kultur einerseits und Fremdheit gegenüber ihrer gegenwärtigen konkreten, besonders politischen Ausgestaltung andererseits Forouhars Werk durchzieht – eine Haltung, die wohl typisch für die Empfindungswelt von Exilierten und Emigranten ist. So wirkte noch ihre erste Installation in Berlin für eine Gruppenausstellung im „Haus der Kulturen der Welt“ geradezu wie eine hymnische Liebeserklärung an die persische Kultur, besonders ihrer Schriftkultur, einer Kalligraphie: Sie hatte einen Raum wandübergreifend mit persischen Textzeilen gestaltet. Das Weiß der Wand und das Schwarz der Schriftzüge bestimmten das Erscheinungsbild des Raumes, zu dem auch tischtennisballgroße Kugeln am Boden gehörten. Diese waren gleichfalls mit persischen Schriftzügen bedeckt und wurden von den Bewegungen der Besucher angestoßen, rollten am Boden hin- und her. Wortwörtlich hatte sie sich mit der Schrift ihrer Heimat in der Fremde ein Zimmer, gleichsam ein Haus gebaut. Doch für die Besucher blieb das Fremde fremd. Die des Persischen unkundigen Besucher waren nicht in der Lage, Inhaltliches wahrzunehmen. Ihre Bewegungen jedoch ließen im Raum die Bälle mit den persischen Kalligraphien von einer Ecke zur anderen rollen, machten auf diese Weise das Unsichere, das Getriebene einer Existenz in der Fremde sinnfällig erfahrbar.
Die Fremdheit auch gegenüber bestimmten Formen der eigenen Kultur stellt die Installation „Trauerfeier“ heraus, bei der Parastou Forouhar Bürostühle mit sogenannten „Märtyrertüchern“ überzogen hat. Es handelt sich um üppig-bunte, motivisch all-over gestaltete originale Stoffe aus dem Iran, auf denen der Tod des schiitischen Märtyrers Hussein beklagt wird. Bis heute gehört sein Tod in Kerbela im Jahre 680 zum Gründungsmythos der schiitischen Glaubensgemeinschaft. Die Installation bezieht ihre Spannung aus dem an sich unvereinbaren Gegensatz von religiöser Ekstase und bürokratischem Regime, wie es die Mullahs aber dennoch zu behaupten versuchen. So überspannen die Stoffbezüge die Bürostühle derart, daß diese im Wortsinn nicht „besitzbar“ sind. Auch in dieser Installation klingt das Motiv der scheinbaren Harmlosigkeit der Bilder an: Der fröhlich-bunte exotische Charakter der Tücher lässt nichts erahnen von den blutigen religiösen Ritualen, auf die sich die Tücher beziehen und die vom Regime für seine Zwecke organisiert und instrumentalisiert werden. Diese geschickte Inszenierung religiöser Bilder für den Machterhalt eines Regimes wird auch entlarvt in der Fotofolge der Straßenbilder, die Parastou Forouhar in Teheran aufgenommen hat. Die Wände der Häuser in den Straßen Teherans sind bedeckt von monumentalen Bildern von Religionsführern. Es sind diese Straßenbilder, die uns aus anderen Diktaturen in Vergangenheit und Gegenwart nur zu vertraut sind, die einen ähnlichen Personenkult mit ihren jeweiligen „Führern“ betrieben haben.
In einer weiteren Installation, der Fotofolge „Blind spot“, hinterfragt Parastou Forouhar auf wieder andere Weise die Aussagekraft der Bilder. Die Künstlerin lässt Männer den Tschador anziehen, den für Frauen im Iran in der Öffentlichkeit vorgeschriebenen schwarzen, den ganzen Körper bedeckenden Schleier, dies aber so, daß anstelle des Gesichtes lediglich der Hinterkopf des Mannes zu sehen ist. Provokativ ist nicht nur der dargestellte Rollentausch der Geschlechter, sondern auch die erzwungene Hilflosigkeit der Männer, ihre „Blindheit“, die auch ihre Blindheit gegenüber den Bedürfnissen der Frauen als gleichberechtigte Teilhaberinnen am gesellschaftlichen Leben versinnbildlicht. Auch unsere westliche „Blindheit“ ist angesprochen, die wir persische Kultur nicht selten im Klischee des Tschadors zu erkennen meinen. Die Fotofolge wurde im Iran als so provokativ empfunden, daß eine geplante Ausstellung in der Galerie „Golestan“ in Teheran nach telefonischen Drohungen an die Adresse der Galerie abgesagt werden musste. Statt dessen wurden nur leere Bilderrahmen gezeigt, aber die Besucher erwarben die Fotos, auch ohne sie in der Ausstellung sehen zu können.
Was ist diesen vielfältig variierten Recherchen der Künstlerin zur Macht der Bilder gemeinsam? In ihnen verbirgt sich eine zweifache Frage, die die Künstlerin aufwirft: einmal die nach der Erfahrung der kulturellen Differenz zwischen ihrem Heimatland und dem Westen bei der Wahrnehmung der Bilder, und zum zweiten die für alle Kulturen bedeutsame Frage nach der Instrumentalisierung von Bildern zum Erhalt oder zu Durchsetzung von Machtstrukturen, nach der Zurschaustellung staatlicher Macht. Die erste Frage ist deshalb für uns von besonderem Interesse, weil wir dazu neigen, an die universale Gültigkeit unserer Wertvorstellungen zu glauben und das Fremde zu rasch als exotisch abzuwerten, sein Andersartigkeit nicht zu würdigen und nicht zu tolerieren. Jede der Bildgeschichten von Parastou Forouhar warnt uns vor einem solchen voreiligen Vereinnahmungsversuch und erhöht unsere Sensibilität, aber nicht nur gegenüber diesem Fremden anderer Kulturen, sondern auch gegenüber dem abgründig Fremden unserer eigenen Kultur. Karl Kraus hat einmal gesagt, je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück. Mit dem durch die Künstlerin geschärften Blick auf unsere eigenen Werte geht es uns ähnlich, auch in unserer eigenen Kultur unterschätzen wir die Macht der Bilder und die in ihnen enthaltenen geheimen dunklen Botschaften, die uns im hellen Tageslicht höchst unwillkommen wären – wie beispielsweise diese überraschenden und erschreckenden Parallelen zwischen den an Comiczeichnungen erinnernden Folterszenen und den Gewaltspielen am Computer. Parastou Forouhar zieht den Deckmantel von der Mechanik des Bösen, das uns nicht den Gefallen tut, offen und offenkundig daher zu kommen. Ganz in diesem Sinne beschreibt Schopenhauer das Phänomen des verdeckten Bösen: „Wer erwartet, daß in der Welt die Teufel mit Hörnern und die Narren mit Schellen einhergehen, wird stets ihre Beute sein.“
Gleichwohl sind Forouhars Beobachtungen und Warnungen nicht, wie sie einmal sagt, von dem naiven Glauben getragen, Kunst könne die Welt verändern. Aber der klare Blick auf diese Welt, auch auf ihre dunklen Seiten, kann doch die Angst vertreiben, jene Angst, die lähmt und den Mut zur Selbstbehauptung untergräbt. So stellen die Erzählungen aus „TausendundeinTag“ die Welt in das helle Tageslicht der Aufklärung. Goya, der sich gleichfalls intensiv mit den Nachtseiten der menschlichen Natur auseinandergesetzt hat, hat eine seiner bekanntesten Arbeiten bezeichnet: „Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (El sueño de la razón produce monstruos, Blatt 43 aus der Folge der Caprichos, 1799). Gegen dieses gefährliche Dunkel der Nacht, gegen das Dumpfe des Schlafes der Vernunft beziehen Forouhars Erzählungen aus „TausendundeinTag“ Stellung: Wer Augen hat zu sehen, dem bietet ihre Installation hier im Deutschen Dom den unverstellten Blick auf Leid, Unterdrückung und Gefährdung des Menschen, aber auch auf seine Chance, das Böse zu erkennen und sich selbst mutig zu behaupten. Für diesen Weg steht Parastou Forouhar nicht nur mit ihrer Kunst ein, sondern auch mit ihrem politischen Engagement.
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