Sammelblatt; Museum für Moderne Kunst Frankfurt, 2001
Parastou Forouhar (*1962) lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Geboren und aufgewachsen ist sie in Teheran, wo sie von 1984-90 Kunst studierte. Von dort ging sie nach Offenbach/Main um an der Hochschule für Gestaltung ein Aufbaustudium zu absolvieren (1992-94). Dann erfuhr ihr Leben einen jähen Einschnitt. „Im Jahr 1998 am 22. November sind meine Eltern, beide oppositionelle Politiker, in ihrem Haus in Teheran, in dem Haus meiner Kindheit, ermordet worden. Es ist kein Datum in meinem Lebenslauf – es ist der Beginn einer neuen Epoche in meiner Welt. Das Verbrechen an meinen Eltern bestimmt mein Leben, meinen Alltag… Ich habe viele Briefe geschrieben an europäische Politiker und Menschenrechtsorganisationen über den Verlauf der Ereignisse nach der Ermordung meiner Eltern, Pressekonferenzen abgehalten und in politischen Veranstaltungen über die Wichtigkeit der Aufklärung der Morde im Hinblick auf den Demokratisierungsprozeß im Iran geredet.
Während meiner regelmäßigen Reisen in den Iran seit Herbst 1998 habe ich mich mehrmals mit den für die Aufklärung zuständigen Behörden getroffen, Fragen gestellt. Und in Gegenwart dieser gläubigen Fanatiker meine Angst und meinen Schrecken unterdrückt. Meine Gefühle mitgenommen zu mir nach Hause, zu meinem Alltag in Deutschland, zu meinen Kindern, zu meinem deutschen Freund und meinen deutschen Freunden“ (P. F.).
Dieser politische Mord machte Parastou Forouhar (*1962) zu einer öffentlichen Person, wohl wissend daß auch dessen Aufklärung nicht nur ihr und ihrer Familie, sondern auch der Öffentlichkeit gehört. Jene Zäsur in ihrer Biografie und die damit verbundene Trauer, Wut und das Gefühl der Ohnmacht hat die Künstlerin aus ihren Arbeiten weitestgehend herausgehalten. Da dies aber ein Stück ihres Lebens ist, entschied sie sich, für eine Ausstellung im Dezember 2000 eine umfassende Dokumentation zu zeigen, die sich dem Verbrechen sowie den Bemühungen um dessen Aufklärung widmet. Im Rahmen der Ausstellung entstand die hier gezeigte Edition eines Briefes, den sie an den Präsidenten der Justizbehörde des Iran geschrieben hat. Diese Edition ist unlimitiert, weil der Inhalt nicht zu limitieren ist. Der Brief erhielt eine öffentliche Form verbunden mit dem Wunsch, daß er an möglichst vielen öffentlichen und auch privaten Orten gezeigt wird. Er gibt Einblick in eine makabre Odyssee, die geprägt ist vom Verweigern von Informationen und dem Lavieren der Verantwortlichen. Er gibt Einblick in einen Einzelfall, der als solcher nicht übertragbar ist. Übertragbar ist jedoch all das, was durch die Worte an Verhalten und Haltungen aufgezeigt wird und was an Ohnmacht und Schmerz zum Vorschein kommt. Hier verweist der Brief auf das düstere Bild staatlicher Gewalt und eines Machtapparats, der unfähig ist, Vertrauen in das Individuum zu setzen und deshalb Kontrolle und Repressionen, bis hin zum Mord, einsetzt zur Legitimation bzw. zum Erhalt einer Macht, die fragwürdig und regressiv ist. Um so dringender ist es, zu informieren und öffentlich darüber zu sprechen. Die Edition ist eine Form dies zu tun.
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