Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 122/Heft 10 / 2.Quartal 2018
Parastou Forouhar wurde 1962 in Teheran im Iran geboren. Seit 1991 lebt sie in Deutschland.
Parastou Forouhar wuchs als Tochter eines Politikers privilegiert auf. Nach dem Abitur studierte sie von 1984 bis 1990 an der Teheraner Universität Kunst. 1991 kam sie nach Deutschland, um an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Kunst zu studieren. Eine sorglose Zeit für eine wissbegierige und emanzipierte Frau, bis sie die Nachricht bekam, dass ihre Eltern 1998 vom iranischen Geheimdienst ermordet wurden. Ihr Vater, Dariush Forouhar, war Arbeitsminister im weltlichen Kabinett des damaligen Premierministers, die erste Regierung nach der Herrschaft des Schahs, Gründer der Iranischen Nationalpartei. Er und seine Frau wurden Zeit ihres Lebens verfolgt und bedroht.
Seine Frau, Parvaneh Forouhar, wurde am 20. März 1939 in Teheran geboren. Sie stammte aus einer politisch demokratisch orientierten Familie. Ihre Herkunft und die bewegende Zeit des politischen Kampfes Mossadeghs für die Nationalisierung der Ölindustrie Irans brachten sie schon früh dazu, sich mit Politik zu beschäftigen. Sie studierte Sozialwissenschaften und Pädagogik an der Universität Teheran und unterrichtete später Geschichte und Soziologie. Zeitweise war sie in einem soziologischen Forschungszentrum tätig. Allen Drohungen und Repressalien der Regierung zum Trotz gaben Parastou´s Eltern gerade in den letzten Jahren ihres Lebens viele Interviews, in denen sie die Ziele der demokratischen Bewegung im Iran darstellten. Sie standen für die Trennung von Staat und Religion und wollten die Todesstrafe abschaffen.
Die Ermordung durch den iranischen Geheimdienst wirbelte im Land sehr viel Staub auf und konnte nicht einfach so unter den Teppich gekehrt werden, das mussten auch die Staatsoberen einsehen. Die Bekanntgabe, dass es der Geheimdienst war, der den Oppositionellen auf dem Gewissen hatte, brachte 18 Geheimdienstler vor Gericht und das hinter verschlossenen Türen. Parastou Forouhar dokumentierte in einem satirischen Zeichnungsband die Schikanen und Demütigungen des Prozesses. Nach Aussagen der Tochter hatten die Angehörigen nur zehn Tage Zeit die zehntausenden, zum Teil manipulierten Seiten Akten des Sondergerichts einzusehen. Sie hat darüber ein Buch geschrieben: „Das Land in dem meine Eltern umgebracht wurden – Liebeserklärung an den Iran.“ Das Buch ist im Herder Verlag erschienen.
Jedes Jahr reist Parastou Forouhar in den Iran, immer zum Todestag der Eltern. Und jedes Jahr verabschiedet sie sich von ihren Freunden via Mail, denn jede Reise in den Iran ist einen ungewisse. Ende 2017 wurde sie wegen ihrer Kunstwerke zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Im einzelnen erkannte das Gericht auf „fünf Jahre wegen Beleidigung des Sakrosankten“ und „ein Jahr wegen Propaganda gegen das System“. Was das mit ihren Reisen und grundsätzlich mit der Kunst der engagierten Künstlerin zu tun hat, das weiß man nicht. Im November 2018 jährten sich die politischen Morde von 98 zum zwanzigsten Mal. Sie fuhr, obwohl sie gerade eine Professur an der Kunsthochschule Mainz erhalten hatte.
Und sie kam zurück, und diesmal war sie nicht in „Quarantäne“. Selbstverständlich wurde sie observiert, aber sie hatte immerhin die Freiheit, eine Veranstaltung zum Gedenken an die Ermordung ihrer Eltern zu organisieren. Das war das erste Mal und wer weiß, was die Zukunft bringt.
In einer Mail an ihre Freunde schickt sie auch ein Foto mit und schreibt:
„Das Bild hat mein Künstlerfreund Barbad Golshiri in Teheran aufgenommen. Es zeigt mich, wie ich beim Abschied von meinem Elternhaus Tücher über die Mobiliar lege“.
Am 8. November 2018 schreibt sie in ihrer Abschiedsmail an ihre Freunde: „Die politischen Morde vom Herbst 98 jähren sich nun zum 20. Mal. Auch in diesem Jahr werde ich aus diesem Anlass nach Teheran reisen, um meiner Eltern, Parvaneh und Dariush Forouhar, zu gedenken. Ich schreibe Ihnen, um Sie vor meiner Abreise um Ihre Solidarität beim Gedenken an die Opfer und bei der Förderung der Aufklärung dieser politischen Verbrechen zu bitten, dem Parvaneh und Dariush Forouhar, führende oppositionelle Politiker, zum Opfer gefallen
sind, ebenso wie Mohammad Mokhtari und Mohammad Djafar Pouyandeh, Mitglieder des Schriftstellerverbandes, Madjid Sharif und Piruz Dawani, politische Aktivisten, und der Dichter Hamid Hadjizadeh zusammen mit seinem zehnjährigen Sohn.
Bereits vor dem Herbst 98 wurden Dissidenten sowohl innerhalb als auch außerhalb Irans Opfer organisierter staatlicher Morde. Diese bildeten ein wiederholtes Muster der Brutalität, das den Willen der Menschen zu einem freiheitlichen Leben in den Bann des Schreckens stellen sollte. Es hat in der iranischen Geschichte eine blutige Spur hinterlassen.
Schon kurz nach diesen Verbrechen im Herbst 98 gestanden staatliche Stellen, unter massivem Druck der Öffentlichkeit, die Verwicklung des Informationsministeriums der Islamischen Republik offiziell ein. Neben dem Entsetzen keimte die Hoffnung auf, dass der systematische Machtmissbrauch der Staatsgewalt aufgeklärt und solchen Machenschaften ein Ende gesetzt werden würde. Diese Zuversicht verflog jedoch, als der Justizapparat ganz offensichtlich eine Taktik der Vertuschung und Rechtsbeugung betrieb. Es folgten sogar Repressalien gegen Menschen, die sich für die Aufklärung einsetzten. Meine Bemühungen, diese Prozesse zu begleiten und voran zu treiben, wurden von Beginn an durch die Kontrollorgane des Regimes erschwert. In den letzten Jahren hat sich das aber immer weiter zugespitzt. Im Sommer 2016 hat mich das Informationsministerium der Islamischen Republik wegen ‚Propaganda gegen das System‘ und ‚Beleidigung von Sakrosanktem‘ verklagt.
Diese Klage wurde im November letzten Jahres vor dem Revolutionsgericht in Teheran verhandelt. Als Folge wurde ich zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ich habe Widerspruch eingelegt.
Der Termin für das Revisionsgericht wurde auf den 14.11. 2018 festgelegt. Die Entscheidung, mich diesem Prozess zu stellen, fiel mir von Beginn an nicht leicht. Mein Fernbleiben hätte aber nach sich ziehen können, dass ich auf unbestimmte Zeit den Iran nicht mehr bereisen kann. Das Recht, den Iran zu besuchen, möchte ich so weit wie möglich nicht verlieren.
Ich habe eine tief gehende Beziehung zu dem Land, in dem ich aufgewachsen bin – und ebenso zu den zahlreichen Menschen, die sich dort mühselig für eine freiere Gesellschaft einsetzen. Ebenso möchte ich die Erinnerungsarbeit, die ich seit Jahren vorantreibe, vor Ort fortsetzen können. Auch hierbei möchte ich Sie um Solidarität und Unterstützung bitten“. Damit endete ihre Mail, und sie reiste ab.
Über die Proteste und ihre Gedanken hat sie eine Abhandlung auf Deutsch im „iranjournal“ veröffentlicht. Nun ist sie wieder zurück auf dem Land, in dem Land, das sie liebt und in dem sie ihre Heimat gefunden hat. Während ihrer Jahre an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach schreibt sie: „Als ich vor zehn Jahren nach Deutschland kam, war ich Parastou Forouhar. Aber im Laufe meines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, in der Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen und in der Bestimmung des eigenen künstlerischen Territoriums wurde ich immer mehr zu der ‚Perserin‘.“
„Andere Künstlerinnen haben dem westlichen Kunstgeschehen die Topoi orientalischer Kunst zur Vereinnahmung oder zum Konsum angeboten. Im Gegensatz dazu vertraut Parastou Forouhar eher der Scharade als Erkenntnismittel. Sie verformt die in der eigenen Kultur vorgefundenen bildnerischen Elemente und rückt die Klischees, darunter die Kalligraphie oder das Musterhafte, aus dem gewohnten Zusammenhang, verkehrt ihre Bezüge. Durch die künstlerische Verlagerung und Deplatzierung interpretiert sie die bildnerischen Elemente neu, transferiert und erweitert deren Bedeutung.
Der hartnäckige Erkenntnisdrang gibt den Blick frei auf eine subtile Komik“, schreibt Hubert Salden zur „Berliner Biennale 2“. Ziemlich genau erkennt er das Grundgerüst der künstlerischen Denkweise der Perserin. Sie verharrt in der handwerklichen und kunsthandwerklichen Tradition ihrer Heimat und seziert sie auf höchst intelligente Weise. Der Humor, der immer wieder durchschlägt, wird die Oberen in Teheran nicht zum Schmunzeln gebracht haben, denn sonst wäre sie nicht verurteilt worden. Ein Beispiel ist der
aus den 80er-Jahren so beliebte Sitzsack, der meist hässlich braun daher kam, aber unendlich gemütlich war. Befreit von seinem braunen Kleid und hineingesteckt in Buntes mit der Ornamentik und in den Farben des ‚Orients‘, spielt Parastou Forouhar auf die Frauen an, die unter dem Tschador nicht zu erkennen sind, aber dadurch auch geschützt sind, wovor auch immer, oder es erinnert an Mullahs, auch dort wird Geborgenheit und Schutz versprochen.
„Bei Countdown handelt es sich um Sitzsäcke. Sie sind sehr bequem und einladend. Daher ist es sehr schwierig, wieder aus ihnen aufzustehen. Sie fangen einen ein. Aber das wird dann durch die Stoffe mit den Texten gebrochen. Ich habe sie in Teheran gekauft. Es sind religiöse Banner, die normalerweise während der Ashura-Zeremonie aufgehängt werden.
Das ist die Trauerzeremonie um den dritten Imam, auf den der gesamte Märtyrerkult zurückgeht. Die Banner mit ihren religiösen Versen sehen sehr schön ornamental und orientalisch aus. Es ist diese exotische Falle, die weiterhin wirksam ist, die uns anzieht, die aber voller Aspekte steckt, die wir nicht richtig wahrnehmen.“ Dies erzählt sie Brigitte Werneburg in einem Interview. Diese Bilder erschließen sich assoziativ und lassen schmunzeln. 2009 schreibt ein Kollege von der Süddeutschen Zeitung, Werner Bloch, einen langen Artikel über die iranische Künstlerin. „Parastou Forouhar kämpft weiter – auch mit den Mitteln der Kunst. Die stellt sie weiterhin in Iran aus – gegen unglaubliche Widerstände.
Einmal wollte sie in einer großen Galerie in Teheran eine Serie von Fotografien zeigen: kahl rasierte Hinterköpfe von Männern, die einen Tschador trugen. Es dauerte nicht lange, bis von Seiten der Regierung Drohungen eingingen. Zwei Tage vor der Eröffnung erhielt ihre Galeristin einen Anruf vom Kulturministerium mit der ‚Empfehlung‘, sie sollte bitte die Ausstellung nicht eröffnen. „Das bedeutet: Es können Schlägertrupps vorbeikommen, alles kann kurz und klein geschlagen werden, und da haben meine Galeristin und ich zusammengesessen und gefragt: Was können wir tun?” Die Lösung war intelligent und so hintersinnig und humorvoll, wie man sich nur verhalten kann in einem diktatorischen System: „Da haben wir gedacht: Wir machen das so, dass wir die Bilder aus den Bilderrahmen rausschneiden und nur die leeren Bilderrahmen zeigen, das wird dann die Situation bei der Eröffnung sein. So gab es eine Ausstellung mit leeren Bilderrahmen – und die Besucher kauften sie sogar. Denn jeder von ihnen wusste genau, worum es geht.“ Vielleicht ist es das, was diese Künstlerin so unschlagbar einmalig macht. Ihre lösungsorientierte Kunstvermittlung, dieses Nicht-einschüchtern-lassen, egal welche Bedrohungen über ihr schweben, machen sie und ihre Kunst authentisch. Und eines hat sie immer beherzigt, und davon ist sie bis heute überzeugt: Humor, Witz und Ironie – sie sind die schärfsten Waffen gegen ein gewalttätiges Regime. „Parastou Forouhar hat das in ihren Werken zur Vollendung gebracht. ‚Rendi‘ heißt das auf Persisch, die Kunst, Perspektiven zu verdrehen und mit subtiler Komik Verwirrung zu stiften. Zum Beispiel das in der persischen Kunstgeschichte
so wichtige Ornament: ‚Nichts ist so totalitär wie das Ornament‘, sagt Parastou. In seiner zwanghaften Ordnung wird alles Widersprüchliche, Stachelige, Individuelle ausgeblendet. Deshalb entwirft sie Tapeten mit alten persischen Mustern – doch wer genau hinsieht, erkennt Folterszenen.“ So war das jedenfalls 2009. Die Zeit ist nicht stehengeblieben und der
Ruhm der Künstlerin nimmt zu. Ihr Ideenreichtum, wenn es um neue Projektentwicklungen in Sachen Kunst geht, ist unerschöpflich. Im Jahr 2009 entsteht ihre „Papillon collection“, das sind Zeichnungen, in denen die Schmetterlingsform der Rahmen ist. Gefüllt werden diese Schmetterlinge nicht mit den wunderbaren Zeichnungen, die wir aus der Natur kennen, hier werden Menschen abgebildet, die die ausgebreiteten Flügel des Schmetterlings füllen . Die Farben, die die Menschen umhüllen, variieren von zart bis blutig und die Menschen, gesichtlose Wesen, sind mit Zielscheiben versehen oder kauern in gedemütigter Stellung. Die digital hergestellten Zeichnungen sind für die Künstlerin das beste Beispiel, wie Grausamkeit und Elend als Schönheit getarnt werden können. Mimikry einmal anders – verstörend schön.
2010 schließt sich ihre digitale Serie „Black is my name, white is my name“ an. Die Textur, die die Künstlerin in diesen Werken verwendet, hat die verstörende Wirkung der Werke, die
wir von M.C.Escher oder Viktor Vasarely kennen. Zwischen unzähligen Augen oder hinweisenden Händen bewegen sich abermals Menschen. Assoziationen zu beobachtenden Augenpaaren, die die Menschen in einem unterdrückten Staat im Visier haben, Hände, die auf Menschen weisen, weil sie von Menschen verraten wurden, und das alles schwarz-weiß,
denn mehr lässt ein totalitärer Staat an Sichtweisen nicht zu. „Alles Schwarz-Weiß sehen“ sagt man in Deutschland, was bedeutet, dass man nicht über den Tellerrand hinausschaut
und andere Sehweisen nicht zulässt. Was Parastou in allen Werken gelingt, ist, dass die hohe Ästhetik dieser digitalen Zeichnungen die Problematik des politischen Anspruchs, den
die Künstlerin in ihrer Kunst verfolgt, das Grauen ansehnlich macht und sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick erschließt. Diese Serie erweitert Parastou Forouhar zu einer
Porträtserie. In einem Gespräch mit der Kulturjournalistin Sabine B. Vogel weist sie auf die Parallelität von Ornament und politisch-totalitärem System hin: “Beides Mal wird jede Abweichung, wird Individualität zur Störung, zerstört die Ausgewogenheit
und damit das System wie eine Laufmasche.”
Geht man noch einmal zurück zu den Anfängen der Künstlerin, die in Teheran beschloss, Kunst zu studieren, obwohl ihre Begabung in der Schule eher naturwissenschaftlich belegt war, erinnert sich Parastou daran, dass ihre ersten Schritte in Richtung Bildender Kunst die Anmeldung für Zeichenkurse in Teheran waren.
In einer von der Deutschen Bank angekauften Serie „Schuhe ausziehen“ verzichtet sie darauf, Zeichnungen mit dem Computer anzufertigen. Sie greift zum Zeichenstift und schildert auf notizblockgroßen Blättern eine iranische Odyssee durch die Instanzen der Bürokratie. Zettel für Zettel, 60 Stück, Strich für Strich wird ein zermürbender Irrgang durchs Labyrinth des Justizapparates anschaulich dargestellt. Die blauschwarzen Filzstiftzeichnungen erzählen nüchtern und zugleich spöttisch von zwei Frauen, die auf der Suche nach verschwundenen Angehörigen sind. Die Zeichnerin fühlt sich den mit Filzstift gezeichneten Frauen ganz nahe
und gibt ihnen trotz der schweren, unförmigen Tschador- Hüllen Anmut. Auch wenn die Haltung Angst verrät, Furcht, die demütig macht und klein, wenn es heißt: „Schuhe ausziehen“.
Und dann folgt dieses zehrende Warten. Mit dem Resultat, dass man letztlich keine Auskunft bekommt und unverrichteter Dinge abzieht. Die Frauen, und das hat Parastou selbst so erlebt, können unter dem Tschador ihre ganze Gefühlswelt an Hass und Wut ausleben, ohne dass ein Soldat oder ein hoher Beamter auch nur irgendetwas davon mit bekommt. Je mehr man sich mit dem Leben und dem Werdegang dieser Ausnahmekünstlerin mit der exzellenten Beobachtungsgabe und dem politischen Selbstbewußtsein befasst, umso mehr gerät man in die Bredouille herausfinden zu müssen, was wohl die unverwechselbare Handschrift der Künstlerin ist.
In den darauffolgenden Jahren überzeugt sie mit Fotografien. In der Kunsthalle Göppingen (2018), und ein Jahr vorher schon im Lindwurm Museum in Stein am Rhein (2017), wird ihre Fotoserie „The Grass is Green the Sky is Blue and She is Black“ gezeigt. Alles dreht sich um eine Frau im klassischen Tschador, die nichts von sich preisgibt, außer dieses großzügig geschnittene schwarze Gewand und eine Haltung, die in verschiedenen Situationen immer an
den Betrachter die Botschaft „dem Leben zugewandt“ vermittelt.
Seit 1995 gibt es aber etwas, das sich wie ein roter Faden durch das Kunstleben der Perserin zieht. Ihre „Written rooms“ sind das, was man wohl als Markenzeichen bezeichnen kann. Was steckt dahinter? Zunächst einmal geht es um Rauminstallationen. Das Besondere daran, im Raum ist nichts Greifbares, alles ist weiß, grell weiß, und Wände und Fußboden sind überzogen mit Schriftzeichen, die durch lange schwungvolle Linien verbunden sind.
Für ihre neue, frisch ins Leben gerufene Professur an der Mainzer Kunsthochschule hat sie keine Antrittsvorlesung gehalten, sondern eine Antrittsausstellung im Ausstellungsraum der Kunsthochschule installiert. Das Weiß der Wände, die Decke, der Boden, eine einzelne schlanke Säule, alles ist bedeckt mit arabischen Schriftzeichen – und mittendrin steht die Künstlerin: Parastou Forouhar hat über Wochen immer wieder in der „Apotheke“, einem Ausstellungsraum der Kunsthochschule in Mainz, gearbeitet. Jener hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert.
In den letzten drei Tagen war die gebürtige Iranerin noch einmal sehr intensiv bei der Sache, und die Passanten konnten sie durch das weite Schaufenster beobachten, das den Raum zur Straße hin öffnet. „Die Arbeit spricht viele an“, meint Forouhar. „Menschen aus ganz verschiedenen Regionen bleiben stehen und schauen mir zu.“ An diesem Abend zieht das Kunstwerk noch mal besonders die Blicke auf sich.
Vor dem Apothekenfenster sammeln sich die Neugierigen, während drinnen letzte Vorbereitungen für die Vernissage getroffen werden. Manche wagen sich spontan in den Raum. Eine junge Syrerin meint in den Buchstaben das Wort „Liebe“ entziffern zu können. Ein junges Ehepaar schiebt seinen Kinderwagen mit dem schlafenden Sohn über die kalligraphischen Zeichen. Die drei stammen wie Forouhar aus dem Iran: „Dies hier bedeutet uns ungeheuer viel“, sagt der Mann, nachdem er sich etwas orientiert hat. „Das ist unsere Kunst, unsere Kultur“, erzählt sie. „Die Arbeit hat viel mit Rhythmus zu tun“, erklärt die Künstlerin, während sie auf die Schriftzeichen deutet, die sich, verbunden durch kräftige Striche, immer wieder zu Wolken aus elegant geschwungenen Linien und Punkten ballen. „Es ist das Schriftbild des Nahen Ostens, das so viele arabische Länder nutzen. Ich habe es von der Funktion befreit. Es ist nicht lesbar, höchstens einzelne Buchstaben und Silben sind zu erkennen. Diese Befreiung bedeutet Verlust und Gewinn zugleich.“ So entsteht nicht nur für den von westlichen Sehweisen geprägten Betrachter etwas Exotisches.
Auch jener Familie aus dem Iran oder der jungen Syrerin gibt die kalligraphische Kunst Rätsel auf. „In diesem Schriftraum entsteht eine besondere Situation“, sagt Forouhar. „Er bricht mit der Normalität, er hat mit Fremdheit zu tun, er ist anziehend und irritierend zugleich. Was sagt er?“
Ganz aktuell stellt sie in Frankfurt aus, im Werkbund auf Empfehlung des Frauenreferates der Stadt Frankfurt am Main im Rahmen der Kampagne Frauen. Macht. Politik. In Kooperation mit Frankfurter Kranz – Eine Plattform für Kulturschaffende Frauen in
Frankfurt und Deutscher Werkbund Hessen. Sie hat einmal gesagt: „Die Trennung zwischen politischem Aktivismus und Kunst mache ich nicht in meiner Person“, meint sie kategorisch.
„Ich mag keine Schubladen.“ Und immer wieder wird sie genau in solche Institutionen eingeladen, die schon in der eigenen Beschreibung ihre politische Ausrichtung bekannt geben. “Mein Anliegen ist es,“ sagt sie, „das Ornament aus der Tradition zu befreien und zeitgenössisch zu erfassen.“
Die Vorarbeit zu ihrem „Written Room“ ist immer gleich: der Raum wird grellweiß gestrichen, und schwarze, ornamental anmutende Schriften in Farsi, Dari, Paschtu, Arabisch, Wortfragmente ziehen sich über die weißen Wände und den Fußboden in sattem Schwarz, wie mit der Feder gezeichnet, arabische Kalligraphie, ein gewolltes Durcheinander an Sprachen, Dialekten, eine Übersetzung der eigenen Gedanken, in Fragmenten wiedergegeben. 2002 schreibt sie in einem Text zu einer Ausstellung im Bonner Frauenmuseum: „Als ich angefangen habe, die Schrift meiner Muttersprache an die Wände und auf den Boden der Ausstellungsräume zu malen, geschah das aus keiner schwerwiegenden konzeptuellen Entscheidung heraus. Es war ein eher unauffälliger Anfang. Erst in der Wiederholung und Weiterentwicklung dieser Arbeit, im Prozess des Schaffens und besonders in der wiederholten
Wahrnehmung der Momente, als die Schriftzeichen sich zwischen Wörtern und Ornamenten hin und her geschoben hatten, hat diese Arbeit mir die damit verbundenen Fragen und Gedankenspiele gezeigt. Am Anfang, als ich nach der Be-deutung meiner Schriftzeichen gefragt wurde, konnte ich die Berechtigung dieser Frage nicht nachvollziehen. Die Frage
wurde nicht sehr oft gestellt.“ Und das verwundert, denn man glaubt doch immer, dass man das, was da steht, auch lesen beziehungsweise verstehen muss. Die Sprache, die man hätte verstehen können, verschwand im Laufe der konzeptuellen Weiterentwicklung, indem die Künstlerin von der Heraushebung der Sprache die Betonung auf die Ornamentik herausarbeitete.
Mit der Sprache zu spielen ist nicht nur ein Anliegen von Schriftstellern und Journalisten, schon immer haben sich Künstler mit der Sprache auseinandergesetzt. Maler, Plastiker,
Bildhauer, Drucker, Keramiker, überall ist die Sprache Bestandteil künstlerischer Überlegeungen.
Auch Parastou Forouhar spielt mit der Sprache. Bei einer Installation hat sie
es fast mit Pingpongbällen auf die Spielspitze gebracht. „Auf leichten Pingpongbällen aufgebracht, rollen die Schriftzeichen auf dem Boden herum, stoßen aneinander, bilden aber
keine Sätze. Im monotonen Klicken der Bälle wird der Versuch von Kommunikation verstümmelt“, liest man in einem Text zum „Written Room“ mit Pingpongbällen. Verstümmelte Kommunikation ein immer größer werdendes Problem in einer Zeit, in der Kommunukation alles ist – vermeintlich.
Das kommunizieren via Smartphone, via Apps, via Mails, via Twitter lässt immer nur Sprache zu, die auf ein Minimum reduziert wird, beziehungsweise auch nur aus Zeichen besteht.
Lustige Fingerzeichen. Emoticons, alles was Designer sich so einfallen lassen. Aber ist das wirklich noch Kommunikation?
Das Kommunikation die keine ist, in Räumen funktioniert, das beweist Parastou Forouhar mit jedem neuen „Written Room“ Für Parastou Forouhar stellt der „Written Room“ eine ambivalente Erfahrung dar: einerseits eine Befreiung aus der Umarmung der muttersprachlichen Kultur, der sie sich versichern will, um sich ihr zugleich verweigern zu wollen. Der Ausstellungsbesucher kann seinen Anspruch, lesend einer Sache habhaft zu werden, nicht einlösen. Ein anderes Sehen ist gefordert, das dem Hören von Musik nicht unähnlich ist: „Ein Spüren von Sinn, dem die Worte noch fehlen – der aber von
Worten auch nicht begrenzt oder in die Irre geführt werden kann.“ (Hans Zender)
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