Paradiesgarten, Parastou Forouhar

Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe: unter Bäume, Sommer 2009 in Wädenswill

In der altorientalischen Märchensammlung 1001 Nacht heißt es irgendwo: „Wer hat je Sonne und Mond gemeinsam stehen sehen, dort wo Paradies und Welt an einem Ort zusammen liegen?“
Diese transzendente Raumvorstellung, die die Unzulänglichkeit der Realität zu überwinden versucht, führt uns zu dem Begriff des Paradiesgartens.
Der Garten und das Paradies, zwei Begriffe, die unmittelbar miteinander verknüpft sind. Die Wortbedeutung scheint fast synonym; der Paradiesgarten oder das Gartenparadies?
Eine Trennung der Begriffe nach himmlischer oder irdischer Auslegung ist in vielen Fällen unmöglich und würde dessen kreatives und geistiges Potential aussparen.
Woher kommt die Kombination der Vorstellung vom himmlischen Paradies als Garten und vom irdischen Garten als Paradies? Die etymologische Erklärung des Wortes Paradies ergibt einen ersten Hinweis auf den Garten und führt in das antike Persien. Der altpersische Begriff „Pari-daeza“ bezeichnete einen ummauerten Garten, den persische Adelige anlegen ließen.
Bestimmende Elemente in diesen Gärten waren Schatten spendende Bäume, fließendes Wasser, eine Einfassung des Gartens und seine geometrische Gliederung. Vier üblicherweise angelegte Wasserläufe repräsentierten die Flüsse des Lebens, gleichzeitig spiegelte sich der Himmel in ihnen.
Ein prominentes Beispiel dafür war der Garten des Kurosh oder Kyros, des Gründers der Achämeniden Dynastie vor etwa 2600 Jahren.
Im antiken Orient, in einer Zeit, in der die Mythen der Lebenswelt noch nicht entzaubert waren und all das, was den Menschen an Positivem und Negativem begegnete, mit dem Handeln von Göttern in Verbindung gebracht wurde, war die Vorstellung vom Paradies eine fester Bestandteil des Welterklärungsmodells.
In mesopotamischen Texten wird die Schöpfung oft als Kampf beschrieben, da die Mächte der Natur erst zurückgedrängt werden mussten, um Leben zu ermöglichen. Im Weltbild jener Zeit war es der König, der mit seinem Ordnung schaffenden Handeln den Bestand der Welt erweiterte und das Leben sicherte. Der königliche Garten wurde zum Sinnbild einer solchen Bestrebung. Eine Gegenwelt, die für den Zustand stand, der in dieser Welt gerade nicht erfahrbar war: ein Leben ohne Gefahr und in der Nähe der Gottheit. Der Garten stand für eine friedliche Ordnung, die den als chaotisch erlebten Naturgewalten abgetrotzt war und in der sich der vom diesseitigen Alltag gepeinigte Mensch erholte, sich jedoch gleichzeitig mithilfe selbst gestalteter Maße und Formen kontemplativ der jenseitigen imaginären Welt nähert. Hier erlebt er bereits ein Stück transzendierter Realität, eine Stufe, von der er aus, nach und nach, weitere Ebenen der Realität,  hin ins Bildlich-Paradiesische besteigt, dabei die ausschließlich als Realität erlebte körperliche Welt verlassend. So fungiert der Garten auch als Transitraum, in dem der Mensch den Widerspruch zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen der realen Welt und der Vorstellungswelt des Paradieses nicht mehr als antagonistisch und unauflöslich erlebt, sondern kreativ überwindet.
Ein – wenngleich auch fatales –  Beispiel dafür waren die Paradiesgärten der später so genannten Sekte der „Assassinen“ im 11. Jhd., versteckt im unzugänglichen Gebirgsmassiv „Takhte Soleiman“ in der Nähe der iranischen Stadt Ghazwin. Hier wurden Heranwachsende in „paradiesischer“ Umgebung aufgezogen, um sie später, mit dem Versprechen, in das wahre, herrlichere Paradies zu kommen, zu Attentatsaktionen zu verschicken.
Die Vorstellung vom himmlischen Garten als Folge der Grundsehnsucht nach einer als defizitär erlebten Alltagsrealität war daher stets rudimentär. Sie fand ihre reale Gestalt im Garten als alternativen Raum. Hier schien das Versprechen auf ein heilvolles und harmonisches Dasein zum Greifen nah.

Diese, sich durch die Jahrhunderte haltende transzendente Vorstellung vom Garten als Paradies, wurde in den jeweiligen Gesellschaften und passend zu den spezifischen kulturellen Gegebenheiten, unterschiedlich ausgelegt und ausgeformt – bis hin zu den säkularen Gegenwelten des 21. Jahrhunderts.
Heute, auf der Suche nach dem Paradiesgarten, entdeckt man in „Google“, unter anderem, Angebote zu Erlebnisparks, Kureinrichtungen und Wellness – Hotels. Die Werbung für diese Art Gegenwelten beinhaltet noch poetische oft klischeehafte Beschreibungen der umgebenden Gartenanlagen. Der Garten bleibt ein fester Bestandteil des Versprechens auf einen heilvollen Lebensraum, auch wenn es in eine kitschige Kulisse verpackt wird.
Auch für mich wurde das Projekt „unter Bäumen“, unter dem Aspekt des heilvollen Lebensraums interessant. Die Dynamik dieser Vorstellung ruft jedoch zwiespältige Gefühle und Gedanken in mir hervor. Um Ihnen diese ambivalente Beziehung darzulegen und meine Gedanken zu einem eigenen künstlerischen Beitrag mit ihnen zu teilen, möchte ich Sie in den reizvollen Garten der Kunstgeschichte mitnehmen, wo diese Suche nach dem heilvollen  Lebensraum in unterschiedlicher Form sichtbar wird.

Die persische Miniaturmalerei, die sich in die gesamte, damals weltweit führende islamische Kultur, ausbreitete, veranschaulicht die bereits angesprochene Suche nach dem heilvollen Lebensraum. In ihr ist auch stets der Anspruch erkennbar, bei dieser Suche fündig geworden zu sein.
Schauen wir auf eine beliebige altpersische Miniatur: Im kleinsten Format bedeutet sie dem Betrachter, sie sei ein kleiner Spiegel der von Gott geschaffenen Welt. Sehr oft ist der Schauplatz ein Garten. Unser Blick wird von den geschwungenen Zedern und blattreichen Ästen zu weichen Wolken, Kuppeln und Hügeln, zu den kurvigen Linien der dargestellten menschlicher Körper geleitet. Alle Flächen sind mit detailreichen Mustern abgedichtet – Muster die abgleitet sind von den Formen der Natur. Eine harmonische Weltdarstellung als Zeichen der göttlichen Allmacht und ihrer Schönheit. Diese Welt ist heil und die Kunst gläubig. Das Gebet findet in der Malerei seine Entsprechung.
Mit ihrem Potential an Rhythmus und Poesie zieht die persische Miniatur uns in ihrem Bann, beschert uns schöne Oberflächen, gleichzeitig aber schließt sie eine Öffnung für  Abweichungen und Bruchstellen aus.
Diese Kunst ist wie keine andere von Ornamentik und Symmetrie geprägt. Sie ist der Spiegel einer allgegenwärtigen Regelheftigkeit und einer „schönen Ordnung“, die die gesamte Schöpfung durchzieht. Das symmetrische Ornament wird zum Signum der Wahrheit und der umfassenden göttlichen Einheit. Die Unterwerfung unter das Ornament ist der Garant dafür, der menschlichen Hybris zu entgehen.
Was bedeutet aber diese „Ideal Welt“ in unserer Gegenwart, in einer Welt, in der die durchlebten Prozesse unsere Erkenntnis- und Erinnerungswelt verpflichtend prägen und uns von den Miniaturen entfernen.

Ich beschäftige mich in meiner künstlerischen Arbeit mit dieser Frage und mit den damit verbunden Auseinandersetzungen mit dem Ornament.
Das Ornament duldet keine Abweichung. Es verschleiert die Grausamkeit einer totalitären Struktur, die Abweichendes negiert und abtötet. Sie funktioniert als zum Bild gewordene Ideologie- eine disziplinierende (domestizierende) Autorität in der ordnenden Struktur. Die Vereinheitlichung, Gleichschaltung und Zurichtung, der hermetische Ausschluss jeglichen Individuellen Elements, zeigt sich beispielhaft in den ornamentalen Aufmärschen, wie sie alle totalitären Systeme lieben.
Das 20. Jahrhundert bietet eine unerschöpfliche Fülle menschlicher Ornamentik unter dem Diktat der Macht. Sie unterscheidet sich jedoch substantiell von der Rolle, die die Ornamentik im islamischen oder europäischen Mittelalter gespielt hat.
Ist nicht immer auch die Wiederherstellung einer vermeintlichen, schönen Ordnung, deren Störung nur mit härtesten Mitteln begegnet werden kann, nicht auch Anlass für Folter und Mord? Wie immer man die Motivation auch fassen möchte, ob psychologisch, sozial oder ideologisch- die Aufrechterhaltung einer allumfassenden „Ordnung“ gegen „Bedrohungen“, spielt dabei – als Form – immer eine Rolle.

Ein weiteres Beispiel für die Suche nach heilvollen Lebensräumen in der Kunstgeschichte finden wir in der Zeit des Aufbruchs der Romantik.
Hier wird, im Gegensatz zu vorherigen Model,  keine umfassende Ordnung für das „Heilvolle“ suggeriert. Hier herrscht das fragmentarische Prinzip, das aus den bestehenden Zusammenhängen die heilvollen Lebensräumen aussondert und sie in den Fokus des Blicks rückt.
Romantik entstand als Reaktion auf das Monopol der vernunftgerichteten Philosophie der Aufklärung und auf die Strenge des durch die Antike inspirierten Klassizismus, als eine Art Rebellion gegen den Zeitgeist.
Die immer stärkere Rationalisierung der europäischen Gesellschaften durch den fortschreitenden Prozess der Industrialisierung, zog eine entzauberte und immer hässlicher werdende Welt nach sich. Auch der Zeitbegriff, war strikt rational definiert und bewegte sich in einer verengten Bahn.
Der Romantiker verortet einen Bruch, der die Welt gespalten habe in die Welt der Vernunft, der „Zahlen und Figuren“ (Novalis), und in die Welt des Gefühls und des Wunderbaren.
Die treibende Kraft der Romantik ist eine in die Unendlichkeit gerichtete Sehnsucht nach der Heilung der Welt. Als Projektionsfläche für diese Sehnsucht boten sich, gewissermaßen als Nebenräume der linear verlaufenden Zeit, alles Ungezähmte, Ursprüngliche, Unberührte und Ungeformte, das sich vor allem in der Natur zeigte – zum Beispiel in nebelverhangenen  Waldtälern und mittelalterlichen Klosterruinen. Schönheit und Wahrhaftigkeit wurden nicht in der von Menschen aufgezwungenen Ordnung gesucht, sondern im Naturzustand.
In diesem Sinne beschreibt Schopenhauer den geordneten Garten der Barockzeit als unterjochte Natur, die ihre aufgezwungenen Formen als Abzeichen ihre Sklaverei trägt.
In der romantischen Suche nach heilvollen Lebensräumen spielt die sinnliche Erfahrung eine große Rolle. In der sinnlichen Erfahrung suchte der Romantiker den Zustand aufgehobener Entfremdung.
Die Durchschlagskraft der romantischen Idee vom heilvollen Lebensraum findet jedoch ihre Entsprechung in dem eigenen Metapher des Fragments. Sie bleibt fragmentarisch und die Bandbreite ihrer Wirkung bewegt sich zwischen Rebellion und Weltflucht. Die romantische Rebellion, die heilen Gegenwelten und der ersehnte Paradiesgarten scheitern immer wieder an der Realität.
Ein schönes Beispiel dafür liefert uns die „Ära der Tulpen“ in der osmanischen Zeit.

Im Verlauf des 18.Jh. führten die Zersetzungserscheinungen zur Destabilisierung des osmanischen Reiches. Versuche zur Wiederherstellung der traditionellen Institutionen blieben Erfolglos. In dieser Zeit widmete sich der Sultan der Gartenbaukunst, vor allem der Züchtung von Tulpen, die im Türkischen „Laleh“ (Laleh Devri). Der Name ist abgeleitet aus dem persischen “Laleh”. Dieses Wort rückwärts gelesen ergibt “Helal” – Halbmond – das wichtigste Symbol im islamischen Kulturraum, das Helligkeit, Glanz, Erleuchtung, aber auch Macht, versinnbildlicht. Zudem setzt sich das Wort “Laleh” aus denselben Buchstaben zusammen wie der Name Allahs. Einige
Forscher glauben, dies sei der Grund für das häufige Erscheinen der Tulpe in der osmanischen Kunst. Es ist eine poetische und spielerische Interpretation, die Möglichkeiten der Selbstwürdigung und der emphatischen Deutung der eigenen Kultur Raum lässt, jedoch den Niedergang nicht verhindern kann. Übrigens auch ein zutiefst romantisches Motiv.

Hier zeigt sich auch wieder das ewige Dilemma: Die Gefangenschaft der Menschen innerhalb von Bedürfnissen und Loyalitäten, die sich gegenseitig ausschließen und doch den Raum ihrer Existenz miteinander teilen müssen – das Dilemma zwischen der Wahrnehmung der Realität, die das Harmonische in-der-Welt-sein nicht zulässt und die gleichzeitig auch die Sehnsucht nach dem Harmonischen nicht aufgibt.          

Mein Beitrag zum Projekt „Unter Bäumen“ öffnet mir einen Raum, um über dieses Dilemma zu reflektieren. Es wirft Fragen auf, die mich begleiten, wenn ich über das Wandbild nachdenke, das ich malen werde.

Das Bestreben der Malerei ist es, eine Abwesenheit mit dem Schein der Anwesenheit zu füllen. Aber wo liegt die Grenze der Glaubwürdigkeit? Wo liegt die Grenze zwischen Heil und Kitsch, wenn ich versuche eine Vision zu orten? Laufe ich nicht Gefahr naiv oder sogar ignorant zu werden, wenn ich im Kontext der Kunst die heilvollen Lebensräume anpreise, in einer Welt voller Leid und Trauer? Vielleicht geht es hier darum, die Flüchtigkeit des Moments, in dem das hybride Dasein, das der Anwesenheit und Abwesenheit eine gleichzeitige Präsenz einräumt, einzufangen. Vielleicht geht es um die problematische Vermittlung zwischen dem Zeitlosen und Vergänglichen, um die Herstellung einer Koexistenz zwischen Vision und Realität.

Vielleicht steht aber auch das permanente Scheitern im Zentrum dieser Überlegungen und zwar das Scheitern als eine Momentaufnahme, die Momentaufnahme einer Gegenwart, die von Erinnerungen und Erkenntnissen aus der Vergangenheit belastet ist, aber die Hoffnung auf der Zukunft nicht aufgeben kann. Es geht um diese Hybris der Gegenwart, die von der Last der Vergangenheit erdrückt und vom Freiheitsversprechen der Zukunft ermuntert und in der das Scheitern zur Normalität des Lebens wird: Das Scheitern als Synonym für den Versuch, die Gegensätze zu leben und sie auszuhalten. Sie spiegelt die Zerbrechlichkeit der Schönheit wieder, die wir festhalten möchten, so wie wir am Versprechen des Heils und der Wahrhaftigkeit der heilenden Lebensräume festhalten.

Für mich sind das Heile und das Schöne nicht nur durch sich selbst sondern auch über ihren Verlust definierbar. In dieser Wahrnehmung liegen die Ressourcen und Kräfte zur Sorge um sich selbst und auch um die Welt. Und wo kann man diese Sorge besser zum Ausdruck bringen als auf einer Terrasse auf der Anhöhe eines alten Gartens?
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