Pop trifft Islam, Almut Spiegler

Die Presse, Feuilleton, 20.01.2009

Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar zeigt in der Belvedere-Ausstellung „Die Macht des Ornaments“ die Beeinflussung von Pop und Islam. Seit Jahren kämpft sie für die Aufklärung der politischen Morde an ihren Eltern.

Die Presse: Im November jährte sich zum zehnten Mal der Tag der Ermordung Ihrer Eltern, die führende Oppositionspolitiker im Iran waren. Sie selbst leben in Deutschland, kämpfen um die Aufklärung der Morde. Welche Erfahrungen machten Sie anlässlich des traurigen Jubiläums?
Parastou Forouhar: Seit fünf Jahren wird das Gedenken an den Todestag verboten. Trotzdem kommen die Leute immer wieder zum Haus meiner Eltern, wo sie gelebt, gearbeitet haben. Politische Arbeit in einem repressiven Regime hat immer viel mit Privaträumen zu tun, sie wurden auch dort ermordet. Das Haus hat also starken Symbolcharakter, mein Bruder und ich haben versucht, es so zu belassen, wie es war, es zu einem Ort des Andenkens zu machen. Das wird akzeptiert, aber die politischen Freunde meiner Eltern können nicht allein hingehen, die Regierung versucht, die Bedeutung des Ortes nicht wachsen zu lassen, was auch nicht passiert.

Wie verhindert man das öffentliche Gedenken?
Forouhar: Sicherheitskräfte verbarrikadieren ganz früh am Morgen schon beide Seiten der Straße, einer engen Straße mitten in der Altstadt von Teheran. Nur die Nachbarn dürfen passieren, werden aber auch bis vor die Türen begleitet. Niemand darf zu uns und wir dürfen das Haus nicht verlassen, das nennt sich dann „Quarantäne“, als ob wir eine ansteckende Krankheit hätten.

Welches Ziel haben Sie sich bei diesem zermürbenden Engagement gesetzt?
Forouhar: Das Arbeiten gegen das Vergessen, gegen das Lügen, das ist das Wichtigste. Der Mord an meinen Eltern ist ein nicht aufgeklärtes politisches Verbrechen, ist Teil einer ganzen Reihe davon. In der Geschichte der islamischen Republik hat schon zehn Jahre vor dem Tod meiner Eltern das systematische Ermorden Andersdenkender begonnen. Die Zahl der Opfer ist immer noch nicht klar. Beim Verbrechen an meinen Eltern war es aber das erste Mal, dass der Geheimdienst seine Täterschaft zugab. Es gab dann einen Prozess, der aber reine Farce, eine Show war, um nach außen hin die Oberfläche eines Rechtsstaats zu zeigen.

Auch in Ihrer Kunst beschäftigen Sie sich mit dem Thema, es gibt ein Buch mit Zeichnungen über politische Morde, in der Ausstellung im Belvedere zeigen Sie u.a. Folterszenen auf Luftballons, als Tapetenmuster bzw. verfangen in beunruhigenden Ornamenten. Was kann gesellschaftskritische Kunst bewirken?
Forouhar: Manchmal hat Kunst wirklich nicht genügend Kraft, um gegen eine solche Tragödie zu halten. Sie ist zu wenig effektiv. Aber sie hat Ausdauer und gibt die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen von struktureller Gewalt.

Haben Sie ihre Arbeiten einmal im Iran gezeigt?
Forouhar: Nein. Das letzte Mal habe ich es 2002 versucht, damals war die reformistische Regierung noch an der Macht, und es gab gewisse Hoffnung. Am Tag der Eröffnung bekam meine Galeristin aber den telefonischen „Rat“, besser nicht aufzusperren. Und Ratschläge haben ihre bestimmte Bedeutung in dieser politischen Landschaft. Was wir gemacht haben: Die geplante Fotoserie „Blind Spot“, die Hinterköpfe von Männern im Tschador zeigt, aus den Rahmen genommen und die leeren Rahmen aufgehängt. Alle Leute haben das sofort verstanden, einige haben sogar leere Rahmen gekauft. Dann haben wir die Bilder wieder hineingegeben. Man kann auch Wege finden, mit der Situation umzugehen.

Gibt es in der jungen iranischen Kunstszene Widerstand, ein kritisches Bewusstsein?
Forouhar: Es wird eine Sprache verwendet, die nicht sehr direkt ist, sondern mit Symbolen, über Umwege funktioniert – das muss sie auch. Aber sie setzt sich stark mit gesellschaftlichen Fragen auseinander. Voriges Jahr etwa hat ein junger Künstler eine Briefmarkenserie gemacht mit Porträts politisch Ermordeter, samt Datum. Kommentarlos, aber alle wussten, worum es geht.

Werden solche Aktionen im Land bekannt?
Forouhar: Wenig. Bildende Kunst hat im Iran nicht den Radius wie etwa die traditionell starke Literatur. Vielleicht besteht aber gerade darin die Chance der Bilder: Nachdem das künstlerische Denken sehr literarisch ist, können mit Bildern neue Situationen wahrscheinlich unbelasteter beschrieben werden. Das ist wohl auch der Grund, warum im Iran das Kino so stark geworden ist.

Ihre jüngsten Arbeiten sind Sitzsäcke, die in ihrer Bequemlichkeit ziemlich tückisch sind.
Forouhar: Ja, sie erinnern mich von der Form her an dicke Mullahs oder Frauen im Tschador. Und sie sollen so bequem sein, dass es Mühe macht, aus ihrem Schoß, aus der Tradition wieder aufzustehen. Außerdem sind es hybride Objekte, die die Vermischung von Religion und Popkultur zeigen: Die findet nicht nur in der westlichen Kultur statt, wenn etwa der Papst wie ein Popstar empfangen wird, sondern auch im Iran. Die Stoffe, die ich zu diesen ursprünglich in der Hippiezeit erfundenen Säcken verarbeitet habe, sind alles religiöse Banner mit Koranversen. Sie werden in bestimmten Trauerzeremonien um den dritten schiitischen Imam Husain verwendet, auf den der Märtyrerkult zurückgeht. An ihnen sieht man, dass sich die Ästhetik komplett verändert hat: Früher waren die Banner schwarz-weiß oder Symbolfarben, Grün für Islam, Rot für Blut. Jetzt gibt es plötzlich Lila, Pink, Neonfarben. Auch in einem Gottesstaat sind die Auswirkungen der Popkultur ganz deutlich.

Und wie beurteilen Sie diese Vermischung?
Forouhar: Ich weiß nicht, in welche Richtung das geht. So wie überall, wenn Religion sich mit Popkultur vermischt, bekommt sie natürlich eine Anziehungskraft für jüngere Generationen. Aber auch die Religion selbst kann sich verändern, weniger streng werden. Es ist eine beidseitige Beeinflussung.

Könnte nicht die Radikalisierung des Islam parallel zu dieser Entwicklung gesehen werden?
Forouhar: Nicht im Iran. Hier werden religiöse Versammlungen von der Jugend vereinnahmt, haben einen komplett anderen Charakter, als die Regierung es haben will. Das geht so weit, dass die Regierung schon Gesandte zu den Treffen schickt, um zu garantieren, dass sie nicht den Rahmen verlassen. Auch bestimmte Darstellungen wurden verboten: Die Leute haben zum Beispiel angefangen, die Imame zu malen. Und die Porträts sind immer ähnlicher denen geworden, die man von indischen Bollywood-Stars kennt – mit schönen Augen, dicken Lippen, total sinnlich. (Lacht.) Das ist der Regierung dann doch zu weit gegangen.
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