Vor einigen Tagen hat mich die Nachricht über den wiederholten Einbruch in meinem Elternhaus in Teheran erreicht. Der vorherige geschah im April letzten Jahres.
Meine Verwanden, die kurze Zeit nach dem Geschehen vor Ort waren, berichten von einer maßgeblichen Verwüstung und Plünderung des Hauses. Laut Einschätzung eines Schlossers, der zur Hilfe gerufen wurde, haben sich die Einbrecher durch Verwendung von Schlaghammer und Flexgerät Zugang zum Haus verschafft. Die Spuren des Einbruchs bezeugen nicht nur die Professionalität der Täter, sondern auch den ungestörten Zustand, aus dem sie agieren konnten.
Im Gegensatz zum letzten Einbruch, der die Wiederherstellung der Bilder von Terror und Verwüstung, aber auch die Entwendung einiger symbolträchtiger Gegenstände zum Ziel hatte, ist bei dem aktuellem Überfall eine umfassende Plünderung des Hauses vorgenommen worden. Nicht nur Teppiche, Kerzenständer, Geschirr, Bilderrahmen, Wasserhähne und ähnliches sind entwendet worden, sondern auch die Kleidungsstücke und persönlichen Gegenstände meiner geliebten Eltern. Die Dimension der Plünderung bezeugt die lange Dauer dieser Untat, was das ungestörte Wirkungsfeld der Einbrecher noch mehr verdeutlicht.
Und hier stellt sich die berechtigte Frage, wie sich so eine Allmacht zum Verbrechen, in einem Stadtviertel im Zentrum Teherans von dichter Wohnstruktur und hoher Bevölkerungsrate, zutragen konnte, in einer Gasse, die zwei Hauptstrassen verbindet und bis tief in die Nacht dicht befahren ist?
Ist eine Gewalttat von dieser Dimension und in so einer Lage ohne die Zustimmung der offiziellen Stellen überhaupt denkbar?
Schon seit Jahrzehnten sind im Iran Gewalttäter als verdeckte Handlanger des Machthabers eingesetzt worden: die organisierten Schlägertruppen, die angeblich spontan und aus religiöser Integrität die unliebsamen Anlässe und Orte überfallen haben, die geheimen Killerkommandos, die Andersdenkende töteten, die Männer, die angeblich aus Ehrgefühl die unkonformen Frauen mit Säure attackierten, Verleumder, die durch dreckige Gerüchte und Anschuldigungen den Ruf der Dissidenten anzielten. Wäre so ein Muster des Terrors ohne die Rückendeckung des offiziellen Machtapparates denkbar?
Und weiter stellt sich die Frage, ob ein Überfall auf das Haus Forouhar möglich wäre, wenn es die vorherrschende Angstatmosphäre in der Umgebung des Hauses nicht gäbe, welche die Handlanger des Regimes seit Jahren in voller Härte aufzwingen?
Ob hier Wegschauen und Schweigen nicht den Raum für das Verbrechen geöffnet hat?
Der aktuelle Einbruch in dieses Haus ist nur in seinem geschichtlichen Kontext zu begreifen. Das Haus hat zu Lebzeiten das politische Handeln von Dariush und Parwaneh Forouhar beherbergt und wurde immer mehr zu einem Zentrum des Widerstands und eine Anlaufstelle der Andersdenkenden. Ein Ort, der unter strenger Überwachung des Regimes stand und stets bedroht war. Als in der Nacht zum 22. November 1998 ein Kommandoteam des Geheimdienstes der Islamischen Republik das Haus überfallen hat, um das Ehepaar Forouhar heimtückisch hinzurichten, wurde das Haus zur Ermordungsstätte zweier angesehener Oppositionsführer. Schon in der Nacht, und als das Verbrechen bekannt wurde, haben die Sicherheitskräfte unter dem Vorwand der Spurensicherung das Haus in Obhut genommen, stattdessen den Ort verwüstet und sämtliche politischen Dokumente und Archive, die dort aufbewahrt wurden, beschlagnahmt. Nie wurde offiziell zu dieser Handlung Stellung bezogen oder eine Rückgabe bewilligt.
Als sich eine große Protestwelle gegen die politischen Morde im Iran erhob, haben zahlreiche Menschen das Haus aufgesucht. Es wurde zu einem Ort des Andenkens und der solidarischen Zusammenkünfte. Obwohl die Proteste unter massiver Unterdrückung des Regimes zurückgedrängt wurden, ist die Forderung zur Aufklärung und Gerechtigkeit im kollektiven Gedächtnis geblieben. Das Haus der ermordeten Forouhars bezeugt diese Forderung und ist im Laufe der Jahre zu einem Ort des Erinnerns geworden: Erinnern an das langjährige Engagement zweier Freiheitskämpfer, Erinnern an das politische Verbrechen, dem sie zum Opfer fielen, Erinnern an einen unvollendeten Aufklärungsprozess und die Verantwortung, diesen fortzusetzen.
Das anhaltende Verbot der Gedenkversammlung zum Todestag der Ermordeten, zu dem jährlich in diesem Haus aufgerufen wird, und die unaufhörliche Überwachung und Bespitzlung des Ortes bezeugt den tiefen Groll des Regimes gegen die Forouhars und ihr politisches Vermächtnis. In der Verwüstung des Hauses setzt sich der Groll fort.
In den kommenden Tagen werde ich nach Teheran reisen, um das Haus aufzusuchen. Ich werde erneut die Spuren des Einbruchs dokumentieren und davon berichten, die nötigen Reparaturen vornehmen und die Verwüstungen beseitigen. Die entwendeten Gegenstände meiner Eltern sind nicht zu ersetzen. Ihr Verlust bleibt eine weitere Verletzung im Gedächtnis dieses Hauses. Jedoch, die Proteste gegen dieses Verbrechen werden sich auch in die Geschichte des Widerstands einreihen, die das Haus symbolisiert.
Auch wenn die Begegnung mit dem gebrochenen Haus mich zutiefst erschüttern wird, bin ich zuversichtlich, dass die Proteste laut werden und das angemessene Verantwortungsgefühl für solche geschichtsträchtigen Orte der iranischen Andresdenkenden in vielen erweckt wird. Der Erhalt der Erinnerungsräume unserer Geschichte ist eine kollektive Aufgabe, der nur in solidarischem Handeln zu erreichen wäre.
In diesem Sinne hoffe ich auf bessere Zeiten.
Mit freundlichen Grüssen,
Parastou Forouhar