Zum Anlass des 18. Jahrestages der politischen Morde vom Herbst 1998 werde ich in den kommenden Tagen wie jedes Jahr nach Teheran reisen, um meiner Eltern, Parvaneh und Dariush Forouhar, zu gedenken.
Ich schreibe Ihnen und bitte Sie um Ihre Solidarität beim Gedenken an die Opfer dieser Verbrechen: Parvaneh und Dariush Forouhar, führende Oppositionelle, die Schriftsteller Mohammad Mokhtari und Mohammad Djafar Pouyandeh, die politischen Aktivisten Madjid Sharif und Piruz Dawani, und der Dichter Hamid Hadjizadeh mit seinem zehnjährigen Sohn Karoun.
Schon in den Jahren vor dem Herbst 98 wurden die iranischen Andersdenkenden Opfer solcher Gewaltverbrechen. In diesem Herbst kam es aber zu einem Wendepunkt: Durch die massive Forderung der Öffentlichkeit nach Aufklärung erfolgte eine offizielle Stellungsname der Staatsmacht im Iran, in der die Verwicklung des Geheimdienstes der Islamischen Republik in der Mordreihe zugegeben wurde.
Neben Entsetzen keimte die Hoffnung auf, dass der systematische Machtmissbrauch durch die Staatsgewalt aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.
Die Hoffnung verflog jedoch bald, als der Justizapparat eine offensichtliche Taktik der Vertuschung und Rechtsbeugung betrieb. Es folgten Repressalien gegen diejenigen, die sich für die Aufklärung einsetzten. Kurz danach wurde ein anhaltendes Verbot über das Gedenken an die Opfer verfügt.
Nun sind bereits 18 lange Jahre vergangen, Jahre des Erinnerns und Bestehens auf Aufklärung und Einleitung eines gerechten Prozesses. Jahre des Beharrens auf das Recht des Gedenkens.
Meine Bemühungen, diese Prozesse zu begleiten und voran zu treiben wurden von Beginn an kontinuierlich erschwert, was sich aber seit 2015 extrem zugespitzt hat. Wenn Drohungen bisher direkt an meine Person herangetragen wurden, wurde nun der mich umgebende Kontext bedroht und angegriffen.
Im April und Dezember 2015 wurde in das Haus meiner Eltern eingebrochen und die Räume verwüstet. Es ist ein Ort des kollektiven Erinnerns und des Widerstands, ein Ort meiner persönlichen Verbundenheit zu meinen lieben Eltern mit kleinen unzähligen Erinnerungstücken. Gegenstände, ihr Ort und die Geschichte ihrer Besitzer sind eng miteinander verbunden. Entreißt man den Gegenstand, gehen Ort und Menschen verloren.
Im vergangenen Sommer erhielt ich die nächste Überraschung, die meine bisherigen Vorstellungen von Vorgehensweisen gegen mich bei weitem übertraf. Meine politische Integrität sollte unter dem Vorwurf der Blasphemie weichen, unterstützt durch eine gezielte Hetzkampagne im Internet und der Hardliner Presse, die mich als Anti-Religion Künstlerin brandmarkte.
Und weiter habe ich vor einigen Wochen eine schriftliche Vorladung erhalten, um mich bei einer Behörde der Teheraner Staatsanwaltschaft vorzustellen, die für die Angelegenheiten der „Sicherheit“ zuständig ist; ich soll mich zu einer Klage äußern, die gegen mich eingeleitet wurde. Was mir vorgeworfen wird und wer diese erhoben hat, bleibt geheim, bis ich zur Anhörung erscheine, die nun für den 22. November anberaumt ist. Laut Bestimmungen dieser Behörde muss ich persönlich erscheinen und kann nicht durch meine Anwältin vertreten werden. Somit wird mir durch meine Abwesenheit jeglicher Einblick in die Akte und auch jegliche Stellungsname zu den Anschuldigungen verwehrt. Erscheine ich nicht zu diesem Termin, wird mir eine mögliche Einflussnahme auf das Urteil, das über mich verhängt werden wird, versperrt.
Die Entscheidung, die ich hier zu treffen habe, betrifft nicht nur die bevorstehende Reise nach Teheran. Sondern auch, ob ich überhaupt für mein Recht stehen möchte, das Land zu bereisen, wo ich aufgewachsen bin, wo mein Elternhaus liegt, wo ich Verwandte und Freunde habe und mich mit zahlreichen Menschen verbunden fühle, die sich mühselig für eine freiere Gesellschaft einsetzen.
Und ob ich weiter das Vakuum aufzeigen sollte, welches entstand, als meine Eltern ermordet wurden. Ein Vakuum das seine Sichtbarkeit verliert, wenn ich fernbleibe, wenn ich das Haus der Verlassenheit anheim gebe. Verschwindet das Vakuum, verschwindet auch die damit verbundene Erinnerungsarbeit.
Ich habe entschieden mich der Situation zu stellen. Auch hierbei möchte ich Sie um Ihre Solidarität und Unterstützung bitten.
Der Todestag meiner Eltern am 21. November ist ein Anlass, um die Rechte einzufordern, die das Regime im Iran die Menschen verweigert. Und sollten Sie an diesem Tag in Teheran sein, bitte ich Sie, zum Haus meiner Eltern zu kommen. Um uns, die trotz der Verbote zusammenkommen, um Parvaneh und Dariush Forouhar zu gedenken, beizustehen.
Mit freundlichen Grüßen
Parastou Forouhar