Katalog Spielmannszüge, Saarländisches Künstlerhaus, 2005
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ Der Anfangssatz aus Thomas Manns Joseph-Roman evoziert die Vorstellung, dass man auf längst Vergangenes stößt, wenn man in einen Brunnen hinabsteigt. Wenn man jedoch in die Brunnen-Installation Parastou Forouhars schaut, sieht man keineswegs eine finstere Vorzeit, sondern zunächst eine helle Lichtquelle. Es handelt sich um eine Projektion auf der scheinbaren Wasseroberfläche des rechteckigen Brunnens.
Das Thema des Brunnen lässt vielfältige Assoziationen zu, so ist erscheint er in der Literatur als Bild für die „gefallene“ Frau, wie etwa in Goethes Faust. In der berühmten Brunnenszene mit Gretchen geht es um die soziale Ächtung, die unehelich schwangere Frauen erfahren. Dagegen symbolisiert der Brunnen sowohl in der christlichen wie auch in der islamischen Vorstellung den Lebensbrunnen. Die reinigende, rituelle Wirkung ist auch heute noch in der christlichen Religion im Weihwasserbecken der Kirchen und in der islamischen in den Becken und Brunnen der Moscheen präsent. Die erlösende Bedeutung, der Hinweis auf einen paradiesischen Zustand wird in Forouhars Arbeit allerdings konterkariert.
Zu sehen sind in ihrem Brunnen computeranimierte Figuren in tänzelnden Bewegungen. Was auf den ersten Blick wie eine spielerische Reigenchoreographie erscheint, erweist sich als krude Folterdarstellung. Figuren werden dort stranguliert, mit Felsbrocken beschwert, müssen auf dünnen Pfählen stehen und immer so fort. Wie ein Uhrwerk dreht sich der Kreis erbarmungslos weiter. Es entsteht eine Spannung zwischen dem Dargestellten und der ästhetischen Form: Einerseits schockiert das Thema der Folter, andererseits werden die Figuren wie in einem Kaleidoskop ornamental gruppiert.
Alle Gestalten sind hautfarben in schablonenhaften Umrissen dargestellt. Die Nivellierung wird potenziert durch die Computergenerierung der Figuren, unter denen es weder Einzigartigkeit noch die Differenz von Original und Kopie gibt. Die Digitalität gewährleistet berechnete Körper, die in ihrer Gleichheit kein Individualitätsmerkmal tragen.
Weder ist erkennbar, wo das Geschehen situiert ist, noch warum gefoltert wird. Gerade weil die vermeintliche Schuld nicht genannt wird, erhält das Geschehen einen kafkaesken Zug. In der „Strafkolonie“ Kafkas ist nach dem Grundsatz eines Offiziers die Schuld „immer zweifellos“ . Bei Forouhar wird das sich immer weiterdrehende Rad der Folter ad absurdum geführt.
In der traditionellen Ikonographie werden Folterszenen hingegen kontextualisiert. Das Buch Antonius Gallonius’ „De Sanctorum martyrum cruciatibus“ aus dem 16. Jahrhundert etwa beschreibt minutiös die Torturen christlicher Märtyrer. Nach typologischen Gesichtspunkten werden darin die Marterwerkzeuge und deren Anwendungen klassifiziert. Auch wenn die systematische Aufgliederung verschiedener Foltermethoden eher Schaulust denn Bedürfnisse nach christlicher Sinngebung befriedigt, bleibt die religiöse Legitimation des Buches bestehen. Die künstlerisch-dekorativen Arrangements der Torturwerkzeuge mit Palmen und Bändern in den Graphiken mindern den Schrecken, nobilitieren und ästhetisieren die Instrumente. Forouhars typisierte Figuren erinnern an diese Buchillustrationen ebenso wie an persische Miniaturen, in denen die Gestalten ebenfalls nicht individualisiert sind und in ornamentale Strukturen eingebunden sind.
Auch der Titel „Spielmannszüge“ verweist auf Uniformierung, so marschieren die Trommler und Pfeiffer zu der Musik im Gleichschritt. Zugleich aber beinhaltet der Titel auch etwas Spielerisches – das Changement zwischen scheinbarem Spiel und grausamem Ernst ist darin bereits angelegt. Die Arbeit ist Teil der Serie „Tausendundein Tag“, ein Titel, der das Geschehen in einen fernen Orient situiert: Wer denkt nicht sofort an die Märchen von „Tausendundeiner Nacht“? Allerdings werden sie hier ans grelle Tageslicht gezerrt: Beansprucht die Folter doch, „Wahrheiten“ ans Licht zu bringen. Bereits den Märchen ist eine von Gewalt bestimmte Rahmenhandlung zugrunde gelegt. So lässt der König, betrogen durch seine Ehefrau, gewöhnlich seine Bettgenossinnen nach einer Nacht töten, um sich ihrer Treue gewiss zu sein. Allein Scheherasade gelingt es stets von Neuem durch ihre List, dem Tod zu entgehen: Sie fesselt den König jede Nacht mit spannenden Geschichten, die sie im Morgengrauen unvermittelt abbricht, so dass der König neugierig wird und das Ende hören möchte. Was sich in der Nacht als schöner Traum abspielt, der das Morgengrauen überdauert, wird in Forouhars Werk zu einem „bösen Erwachen“, man wird desillusioniert. Medienbilder von öffentlichen Hinrichtungen schieben sich mit einem Mal vor dieses Märchenland.
Auch in anderen Arbeiten der Serie erscheinen die Folterszenen mit den gesichtslosen Figuren. Auf einer Tapete etwa setzt sich die Serie der Grausamkeiten auf einer 35 Meter langen Wand fort. Das Spiel mit dem Spaß und Ernst, Moderne und Archaik, Harmlosigkeit und Gewalt wird potenziert in einem Daumenkino der Folter. Indem man das Daumenkino in Gang setzt, ist man an der Tat beteiligt. Erst weil man im wörtlichen Sinne seine Finger im Spiel hat, wird der Stein geworfen. Die Dichotomien von Zuschauer und Akteur sowie Opfer und Täter werden konterkariert. Die Grenze zwischen dem zivilisierten westlichen Betrachter und dem scheinbar fernen Geschehen gerät in Bewegung.
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