Zu Ausstellung “Die Poesie der ungeliebten Wahrnehmung”, 13. Januar 2013
Ich freue mich, dass ich heute die Gelegenheit habe, zu dieser Ausstellung mit neuen und hochinteressanten Werken von Parastou Forouhar zu sprechen, einer Künstlerin, die in unserer Region, längst keine Unbekannte mehr ist – und mit deren Werken ich mich im Rahmen unserer Gruppenausstellung “Töten”, die 2012 im Kunstpalais in Erlangen gezeigt wurde, intensiv auseinandersetzen konnte.
Im November und Dezember letzten Jahres war ich darüber hinaus erstmals auch Email- Zeugin ihrer alljährlich stattfindenden Gedenk-Reise anlässlich der Ermordung ihrer Eltern: Parwaneh und Dariush Forouhar, wichtige Politiker der iranischen Opposition, wurden am 22. November 1998 auf bestialische Weise umgebracht. Ihre Liquidierung zählt zu den sogenannten “Kettenmorden”, denen auch zahlreiche, der Opposition nahestehende Schriftsteller und Intellektuelle zum Opfer fielen.
Parastou Forouhar, die in Teheran und Frankfurt Kunst studiert hat, war längst eine etablierte Künstlerin und lebte schon seit vielen Jahren in Deutschland, als dieses mörderisches Verbrechen ihr Leben einschneidend veränderte.
Seither reist sie immer zum Jahrestag der Ermordung in das elterliche Haus nach Teheran – ungeachtet aller Risiken für Leib und Leben, ungeachtet aller massiven Bedrohungen und Schikanen durch die staatlichen Behörden. Die Kraft und Konsequenz ihrer Handlung sind ebenso beeindruckend wie die Haltung und die Authentizität der Künstlerin.
Die alljährliche Reise zum elterlichen Haus ist ein Ritual des Widerstands. Es bringt das persönliches und politisches Selbstverständnis der Künstlerin zum Ausdruck: Sie möchte an ihre Eltern erinnern – und deren Kampf für Freiheit und Demokratie fortsetzen.
Doch diese Reise ist inzwischen mehr als das. Sie ist auch ein performativer Akt, der über das persönliche Schicksal einer privaten Person hinausweist. Die Reise, die seit vielen Jahren von internationaler Aufmerksamkeit begleitet wird, deren Verlauf über einen breiten Emailverteiler weltweit kommuniziert wird, ist längst auch zu einer künstlerischen Performance geworden. Sie ist Bestandteil des künstlerischen Werks.
Die Medienwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte stellte in ihrer Publikation „Inszenierung von Authentizität” fest, heute bestünde weitgehend Konsens darüber, dass sich das Selbstverständnis einer Kultur nicht nur in Texten und Monumenten formuliert, sondern auch – zum Teil sogar vorrangig – in Ritualen, Zeremonien, Festen usw.
Sie schreibt, Zitat: „das gilt auch und gerade für die europäischen Kulturen, von denen lange Zeit angenommen wurde, dass ihre Identität wesentlich auf Texten und Monumenten gründe. Diese überkommene Überzeugung vom besonderen Charakter der europäischen Kulturen ist durch neuere Entwicklungen – sowohl in unserer kulturellen Praxis als auch in den Kulturwissenschaften – nachhaltig erschüttert worden.“ Nach Fischer-Lichte konstituiert und formuliert sich unsere Gegenwartskultur also zunehmend nicht mehr in Werken, sondern in den performativen Prozessen der Inszenierung und Darstellung, die häufig erst durch die Medien zu kulturellen Ereignissen werden.
Betrachtet man die Reise Parastou Forouhars unter dem Vorzeichen einer künstlerischen Performance, zeichnet sich diese durch die permanente Wiederholung festegelegter Handlungsabschnitte aus, wie etwa der Abreise, des Gedenkens im Haus der Eltern, des Besuchs des Friedhofs, der Rückreise.
Die Reise ist also ein ritueller Akt, in dessen immer ähnliches Handlungsmuster sich immer ähnliche Störungen einschleichen: der Einzug des Reisepasses, die Vorladungen, die Schikanen und Bedrohungen durch das iranische Regime. Es ist das Böse, das von Handlangern, Hanswürsten, wie es bei Hannah Arendt heißt, in das Schöne und Positive dieser ritualisierten Reise eingebracht wird.
In dem sich die Künstlerin durch die Reise bewusst der Gefahr aussetzt, zu einem Opfer zu werden, entlarvt sie die Täter, zwingt sie, die Maske fallen zu lassen – und dies vor den Augen der Welt. Denn erst durch das Opfer werden die Muster der Gewalt deutlich.
Und genau das, was sich in dem Ritual der Reise abzeichnet, lässt sich auch in den bildnerischen Werken Parastou Forouhars ablesen:
Ihr künstlerisches Werkzeug ist das Ornament, die unendliche Wiederholung ein und derselben Form. Das Ornament besteht aus Körpern. Es sind peinigende und gepeinigte Körper ohne Gesichter. Das Leiden wird allein durch Gesten und Verrenkungen der Leiber ausgedrückt. Das Ornament steht für die Wiederholung von Handlungen, die der Bewegung und die der Gegenbewegung. Aus dem Schönen erwächst so ein endlos fortsetzbares Bild menschlicher Grausamkeiten: Gleichsam eingewoben in die Normalität, erst auf den zweiten Blick zu erkennen.
Parastou Forouhar bezeichnet ihre Ornamentik als eine “erstickende Welt der Muster”. Denn das Ornament zwingt zur Unterordnung unter ein sich gleichförmig wiederholendes Raster. Für die Künstlerin wird es zum Symbol für einen totalitären Machtanspruch, der sich an beide Seiten richtet: sowohl an die Täter, als auch an die Opfer. Sehr schön können Sie das mit den Worten der Künstlerin auf der Rückseite des für diese Ausstellung entstandenen Katalogs lesen, wo steht:
“In den altpersischen Miniaturen ist die Präsenz des Menschen, wie in einer von Fundamentalismus befallenen Gesellschaft, als Teil einer „ornamentalen Ordnung” zu begreifen. Eine individuelle Auffassung existiert nicht. Es wird der Versuch unternommen, eine trügerische Oberfläche aus wiederholten, miteinander harmonierenden Mustern zu schaffen. Der Blick gleitet von der kurvigen Linie der Körperdarstellung von Figuren zu den kurvigen Tannen, weichen Wolken, Kuppeln und Hügeln. Alle Flächen sind mit den Schwingungen dieser Muster gefüllt: Eine harmonische Weltdarstellung, Zeichen der göttlichen Allmacht und ihrer Schönheit. Diese unantastbare Harmonie verbirgt jedoch ein großes Potential an Brutalität in sich. Was sich dieser ornamentalen Ordnung nicht unterwirft, ist nicht darstellbar, und damit nicht existent, wird in die Peripherie der Unwürdigen verbannt, zur Vernichtung verurteilt.”
Durch die figurative Gestaltung des Ornaments verleiht sie den Opfern eine Sprache: es ist die Sprache ihrer von der Folter gezeichneten Leiber, es ist eine Körpersprache. Manches mal erinnern die aus den Körpern gebildeten Ornamente auch an Kalligrafien, an Schriftzeichen. Oder an symbolisch und metaphorisch aufgeladene Motive.
Die Künstlerin schreibt menschliche Leiber in die Silhouetten von Handgranaten, Messern und Pistolen ein. Die Figuren erinnern hier an Tote, die in Massengräbern neben- und übereinander liegen. In der ganz neu entstandenen Arbeit mit dem Titel „Es quält mich, es quält mich nicht“ verwendet sie die an ein Herz erinnernde und aus Persien stammende Pailsey-Form. Sie besteht aus Körpern zahlloser Frauen, die an ihren langen Haaren auseinander gerissen werden. Im Iran verweist das Paisley Muster auf die Zypresse mit ihrem bauchigen Wuchs und ihrer leicht geneigten Spitze. Sie ist der Baum der Märtyrer, der Baum der Erinnerung. Parastou Forouhar pflanzt zwei davon alljährlich neu vor dem Haus ihrer Eltern, denn sie vertrocknen immer wieder. Die Künstlerin schreibt darüber in ihrem Buch: „Die Baumpaare sind schon mehrmals vertrocknet und ersetzt worden. (…) In meiner Umgebung kursieren Gerüchte, der plötzliche Tod dieser symbolträchtigen Bäume sei ein Sabotageakt des Regimes, ausgeführt von seinen Spitzeln.“2 So mächtig können Symbole sein.
In der ebenfalls neu entstandenen Serie “Tausendundein Tag” schlagen Folterknechte mit mehrzüngigen Peitschen auf wehrlos daliegende Körper ein, oder setzen gefesselte Opfer der Streckfolter aus. Opfer und Täter, beide gesichtslos und in der ornamentalen Verflechtung kaum mehr zu unterscheiden, verschmelzen zu komplexen Formationen von bestechender Schönheit. Man erkennt schnell:
Es geht nicht nur um Täter und Opfer in moralischen Kategorien, es geht um Täter und Opfer innerhalb der Strukturen, und darum, dass sich in totalitären, in militaristischen oder in faschistischen Strukturen die Spirale der Gewalt endlos fortsetzt. Denn auch Täter können leicht zu Opfern werden, wenn es etwa darum geht, Handlanger, die zu viel wissen, loswerden.
Macht und Ohnmacht sind in den Arbeiten von Parastou Forouhar untrennbar miteinander verwoben. Sie lassen das Ornament zum Labyrinth werden – und richten an den Betrachter die alles entscheidende Frage: Wo stehst Du?
So erinnern die streng symmetrischen Formen der Serie “Tausendundeintag” an die gefalteten Tintenklecksbilder eines Rorschach-Tests. Hier sollen die Assoziationen der Testpersonen Rückschlüsse über deren Persönlichkeit ermöglichen.
Strukturen der Gewalt durchzogen ist: „Absolute Sicherheit gibt es nicht“ lautet der Titel einer ihrer Arbeiten, der sich beispielsweise auf eine Äußerung des ehemaligen Innenministers Otto Schily bezog. Eine Äußerung, die Parastou Forouhar als Störung in das Messerornament eines weichen Kissens einschrieb, und die kürzlich von einem Sicherheitsexperten der Deutschen Bahn im Kontext des Bombenfunds am Bonner Hauptbahnhof wiederholt wurde.
„Blind Spot“ lautet der Titel der Fotoserie, die Männer im weiblichen Gewand eines Tschadors zeigen. Auch sie haben kein Gesicht. Wir sehen nur ihre Hinterköpfe, da sie den Tschador verkehrt herum tragen. Auf diese Weise wirkt ihr Körper seltsam verdreht.
Wie können wir die Täter erkennen? Und die Strukturen dahinter? Die Arbeiten von Parastou Forouhar geben keine Antworten. Aber sie stellen Fragen. Und Fragen erweisen sich oftmals als wesentlich gefährlicher.
Als die Künstlerin die Fotoserie „Blind Spot“ in kleinen Abzügen in Teheran ausstellen wollte, wurde sie gewarnt. Die Missachtung dieser Warnung wäre gefährlich geworden. Daher beschlossen die Künstlerin und ihre Galeristin, die Fotos aus den Rahmen zu nehmen – und nur die leeren Rahmen auszustellen. Perfekt ausgeleuchtet, versteht sich. Die Frage wurde verhindert. Das Fragen an sich nicht.
Mit dieser Ausstellung fordert die Künstlerin nun auch Sie auf, Fragen zu stellen, Muster zu durchkreuzen, Systeme zu analysieren.
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