Solidaritätskundgebung der Frankfurter Künstler mit der “Grüne Bewegung”, Schauspielhaus Frankfurt, 14.03.2010

Blog 2010-03-14

„Sobald ich die Augen schließe, kommt Jemand aus der Vergangenheit auf Besuch zu mir, oder ich besuche ihn“ schreibt Khader Abdollah, der iranische Schriftsteller, der seine Bücher in Holländischer Sprache verfasst.
Wie zahlreiche andere Iraner lebt er im Exil und erzählt erinnerte Geschichten.
Auch sein Name ist entstanden in Erinnerung an zwei hingerichtete Freunde,  Khader und Abdollah. Zwei von vielen toten Iranern die wir auf unserer Reise in die Fremde mitgenommen haben.Diese Toten: Hingerichtete, Verschleppte, Ermordete, verweilen unter uns, sie sind uns aber oft im Schatten ihrer Unsichtbarkeit entrückt. Es sind unter ihnen junge Mütter und Väter, die jetzt so alt wären wie es ihre Kinder sind, die sie zurücklassen mussten! Es sind unter ihnen Lebenspartner, Geschwister, Eltern, Verwandte  und alte Freunde aus der Jugendzeit – Gestalten aus der iranischen Vergangenheit die in der deutschen Gegenwart schwer einen Platz finden, während ihre Angehörigen schon längst Bürger dieser Stadt und dieses Landes geworden sind. Bei den Angehörigen zu Hause wohnen sie in eingerahmten Bildern, auf Regalen, zwischen Büchern und iranischen Kitschobjekten!
Sie richten ihre aus der Zeit herausgenommenen Blicke auf das Leben ihrer geliebten Menschen und verblassen allmählich in diesen Bildern.
Manchmal nur, wenn Freunde zu Besuch kommen und tiefe Verbundenheit den Raum erfüllt, treten die Toten hervor und werden wie andere Anwesende vorgestellt.
„Das ist mein Vater!“, sagt eine Neunzehnjährige zu ihrer besten Freundin. „Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Er wurde hingerichtet als ich vier war! Danach kam ich mit meiner Mutter nach Deutschland!“
Ich weiß nicht wie die Freundin reagierte! Ich hoffe nur, dass der tote Vater nicht durch Schrecken und Befremden wieder zurückwich und verblasste!
Die körperlose Präsenz dieser Toten ist fragil und ganz abhängig von uns, so abhängig vielleicht, wie der Schatten, der auf unseren Körper reagiert. Sie sind präsent, wenn wir sie in unsere Erinnerung herbeirufen und in unser Leben integrieren. Sie verschwinden leise und unbemerkt, wenn wir sie loslassen und vergessen.
Damit verschwindet aber auch ihre Geschichte, die ein Teil unserer Geschichte ist, verschwindet die Spur des politischen Verbrechens, dem sie zum Opfer gefallen sind, verschwindet ihre Haltung gegenüber den Mördern, die ihren Tod bestimmt hatten.
Gerade solche Toten sind zerbrechliche Gestalten unserer Erinnerung. Ihre Würde zu bewahren, sie gegen Verleumdung und Verleugnung durch die Täter und deren  Nachkommen zu beschützen, liegt in unserer Verantwortung. Im Moment der Wahrnehmung dieser Verantwortung treten sie aus ihrem Opferdasein heraus. Sie finden wieder ihren Platz in der Geschichte unseres Kampfes und unserer Anklage gegen Despotie und Barbarei!
Wir alle erinnern uns an die kraftvollen Bilder der Volkserhebung in den vergangenen Monaten im Iran. An den  Tanz der grünen Bänder, an die in den Himmel ausgestreckten Siegeszeichen, an die zum Bild gewordene Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung. Bilder, die über die nationalen Grenzen hinaus Solidarität und Bewunderung hervorgerufen haben.
Erinnern können wir uns aber auch an die Bilder der Gewalt. An die Szene jenes Todes vor laufender Kamera, die gleichzeitig ein Beweis für die kaltblütige Leugnung des Einsatzes brutalster Gewalt, ein Beleg auch für die Tausenden von Toten der letzten Jahrzehnte, für heimliche Hinrichtungen, für  in Massengräber verscharrte Leichen, geworden ist.
Symbolbilder leben nicht nur aus dem einen Abgebildeten selbst. Sie repräsentieren immer auch alle anderen, alle Bilderlosen, alle Unsichtbaren mit!

Und trotz ihrer Wahrhaftigkeit und starker Präsenz, können auch sie in unserer schnelllebigen Gegenwart verblassen, wenn wir sie nicht festhalten. Dann werden sie Teil einer Wiederholung!
Die dreiste und zynische Verleugnung des begangenen politischen Verbrechens überwuchert alles, breitet sich aus und legt sich wie ein zäher Brei auf unser kollektives Gedächtnis. Ihr Ziel ist, das Verbrechen und die Barbarei zu relativieren! Sie wollen die wieder eroberte Vergangenheit zurückdrängen um selber die Zukunft bestimmen zu können.

Ich glaube fest an die politische Substanz der Erinnerung und spreche oft über unsere Verantwortung. Aber manchmal kommt es mir so vor,  als ob meine Sätze klanglos und banal wirken. Ich formuliere um und bemühe mich um Authentizität, aber trotz alledem kann ich die Kältestarre in diesen Sätzen nicht weg bekommen. Zu sehr ist die Erinnerung an die Toten von der traditionellen Anschauung und Terminologie besetzt. Oft kann die Bemühung um eine Verbindung mit der Authentizität einer ermordeten Person in die Schablone des Totenkults kippen oder in der Falle von Sentimentalität und Pathos stecken bleiben.
Manchmal aber überfordern unsere Toten unsere Freunde und Angehörigen. Die Zeit wird gespalten und die Vergangenheit überfordert die Gegenwart. Der Begriff Verantwortung kann diese Last nicht mehr tragen. Und ich merke,  wie meine Hoffnung, leise und unbemerkt irgendwo in die schwarzen Löcher zwischen diesen Zeitebenen verschwindet.
Dann suche ich nach Zufluchtorten für meine Hoffnung. Zusammenkünfte wie die heutige mit ihrer Symbolik können so ein Ort sein, wo die Hoffnung Zuflucht finden kann.
Auch das Iranische Neujahrfest ist ein solcher Ort: NOWROOZ wird bald kommen.
Akribisch und auf die Sekunde genau begrüßen die Iraner der Ankunft des Frühlings. Das wird am Samstag, den 20. März um 18 Uhr  sein!
Ein Tisch wird gedeckt mit 7 Dingen, die mit dem Buchstaben  „S“ beginnen. Es heißt „Haftsin“ – sieben S! Es sind sieben Symbole für die Kontinuität des Lebens, Zeichen des Grünwerdens der Natur.
Und auf vielen dieser gedeckten Tische in unserem Zuhause in dieser Stadt sitzen auch unsere Toten in ihren Bildern und warten auf die Erneuerung! Sie begrüßen mit uns die Zukunft.
In meiner Wohnung sitzen meine Eltern mit auf dem Tisch mit den sieben S. Sie blicken lächelnd und warmherzig. Fragte man mich danach, so  würde ich sagen, dass sie aus ihrer ewigen, tiefen Zuversicht heraus lächeln. Zuversicht auf  die Freiheit in einem künftigen Iran.
Helfen Sie mit, damit sie Recht behalten, damit ihr zuversichtliches Lächeln Bestand hat gegen die Diktatur mit ihren Lügen und Verleumdungen, Bestand hat gegen Gleichgültigkeit und Vergessen! In diesem Sinne hoffe ich auf das neue Jahr, auf grüne Zeiten.
Parastou Forouhar

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