Werkbund Frankfurt, 2019
Dass Schrift, die Fähigkeit zu Schreiben und das Entziffern von geschriebenen Buchstaben etwas mit dem Verstehen von Welt und damit auch mit Macht zu tun haben, steht außer Frage. Und bis in die Neuzeit war dieses Machtinstrument bestimmten gesellschaftlichen Kreisen und im Wesentlichen den Männern vorbehalten. Das gilt für eine Schriftkultur wie die europäische genauso wie für die iranisch-persische. Persisch, Farsi gilt seit Jahrhunderten als Sprache der Gelehrten, Dichter und Denker (vermutlich überwiegend Männer).
In einem Interview hat Parastou Forouhar einmal geäußert, dass bildende Künstler*innen im Iran, da es sich um eine Schriftkultur handelt, nicht den gleichen Stellenwert genießen wie Schriftsteller*innen und dass Texte für das Regime gefährlicher seien, als Bilder. Dieser Umstand mag einer der Gründe dafür sein, dass sie als politische Künstlerin sich auch schreibend betätigt, Bücher und Texte verfasst.
Und dieser Umstand kann vielleicht auch einen Hinweis auf die Existenz der Schrifträume geben, mit denen sie sich explizit den Schriftzeichen zugewandt hat.
Betrat man den kleinen Ausstellungsraum des Deutschen Werkbunds, stand man mitten in der Schrift und wurde von den Zeichen eingehüllt. Eine Erfahrung, die vielleicht mit einem Eintauchen in den virtuellen Raum des Internets vergleichbar ist. Vergleichen möchte ich ihn aber auch mit dem Sprung von Alice durch den Spiegel. Bei „Alice in Wonderland“ markiert dieser Sprung den Beginn einer Reise der Protagonistin in das eigene Innere.
Mich blickte mit der Schrift etwas Fremdes an, weil ich des Entzifferns von Farsi unkundig bin. Ich denke, einigen Besucher*innen dürfte es genauso gegangen sein. Und es könnte auch sein, dass ich aufgrund der Unfähigkeit, persische und arabische Schriftzeichen auseinanderzuhalten, von der westlichen Paranoia infiziert bin, mit orientalischen Schriftzeichnen nicht nur Fremdes, sondern Gewalttätiges zu assoziieren. Hier hat die politische Frucht des 11. Septembers 2001 und haben die medialen Bilder von Al Qaida und dem IS, wo sich immer sofort eine Flagge mit entsprechender Beschriftung mit ins Bild schiebt, ganze Arbeit geleistet. Mag sein, dass die Künstlerin auch an dieser Stelle bewusst mit der Doppelbödigkeit kultureller Fremdheit spielt.
Dabei besitzen Schriftbotschaften auf Wänden eine lange kulturhistorische wie kulturübergreifende Tradition. Etwa in der Bibel als furchteinflößendes Menetekel wie im Fall des Belsazars, dem die – zunächst von seinen eigenen Gelehrten nicht zu entziffernde – Schrift den eigenen Tod und den baldigen Untergang Babylons prophezeite oder als rasch hingekritzelte Graffiti-Botschaften auf antiken Hauswänden in Pompeji. Man findet Kaligrafie und Schriftbänder aber auch häufig im arabischen Raum in den Innenräumen von Moscheen, wo die Schrift Bilder ersetzt.
Für die Künstlerin Parastou Forouhar ist das, so hat sie das beschrieben, was mit dem Written Room entstanden war, vor allem ein Erinnerungsraum. Eine Erinnerung an die Zeichen, an die Schrift ihrer Muttersprache, des Persischen. Eine Erinnerung, die zunehmend verblasst, und die es gilt, festzuhalten, dabei immer und immer wieder anzusetzen und es erneut zu versuchen. Jeder von uns kennt solche Anstrengungen, wenn man sich bemüht, weit Zurückliegendes zu memorieren. Im Kontext der Ausstellung wurden aus den Schriftzeichen Bildzeichen, die sich neue Kontexte und Zusammenhänge suchten, zu Ornamenten wurden. Da gab es Zeichen, die wie Noten über die Wand und den Boden huschten und im Zusammenklang mit den anderen an musikalische Partituren erinnerten. Man könnte auch sagen, dass in dem Schriftraum die Bausteine sprachlicher Kommunikation eine körperhafte Anmutung erhielten. Die Schriftzeichen wurden gestaucht oder gedehnt, sie tanzten durch den Raum, entwickelten ganze Landschaften. Es entstanden Formationen, die an Wellen erinnerten oder auch Assoziationen von aufwirbelndem Sand. Schrift als Körper.
Die aneinandergereihten Schriftzeichen ergaben keine lesbaren Worte, wohl aber Laute, Geräusche, die den Raum mit einem Rauschen anfüllten.
Dieser visuelle Klangkörper der Schriftzeichnung negierte die Kanten des Raumes und setzte der klaren Struktur der 20er Jahre Architektur von Ernst May das Ornamentale entgegen. Die Zeichnung verweigerte sich schlicht der Dreidimensionalität des Raumes und behandelte die weiße Fläche von Boden und Wänden wie ein zweidimensionales Blatt Papier. Architektur wurde durch die Zeichnung aufgelöst und paradoxerweise dabei gleichzeitig betont. Etwa, indem die Zeichnung den Schwung der Wendeltreppe in einer der Raumecken aufnahm und in den Raum hinein erweiterte.
Und der Schritt der Besucherinnen und Besucher über die Türschwelle in den Raum hinein wurde zum Sprung in den Spiegel und sie alle plötzlich Teil der Zeichnung.
Wenn ich die Kunst von Parastou Forouhar richtig interpretiere, geht es in ihr häufig um ambivalente Erfahrungen, um Schmerz und Verlust, Flüchtigkeit, Trauer, um Gewalt, strukturelle Gewalt auf der einen Seite und Schönheit und das Poetische auf der anderen Seite. Beides immer erschreckend nah beieinander. Ganz ähnlich würde ich auch den Written Room lesen wollen. Da ist auf der einen Seite die Frage nach der eigenen Identität und das Bewusstsein eines Verlustes sowie des Kampfes gegen den Verlust. Und da ist auf der anderen Seite eine schöpferische Kraft, aus dem Steinbruch der eigenen Kultur etwas Neues entstehen zu lassen und darüber hinaus uns Betrachtende darin zu integrieren.
< Back