Kommune, 02/03.2004
Ein Porträt der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar
Fotos die kahlgeschorene Hinterköpfe von Männern in einem Tschador zeigen –eine Ausstellung von Parastou Forouhar mit dem Titel „Blind Spot“. Provokant, ausgerechnet einen Mann in den Schleier zu stecken, mit dem sich die Frauen im Iran von Kopf bis Fuß bedecken müssen und der als Symbol für die im Iran übliche Unterordnung der Frau steht.
Eines dieser Bilder hängt im Arbeitszimmer von Schirin Ebadi. Die Friedensnobelpreisträgerin vertritt die Künstlerin als Anwältin, in einem Fall in dem es um ein Attentat – politischen Mord geht. Die Eltern der Künstlerin wurden am 21. November 1998 in ihrem Haus in Teheran überfallen und mit über 20 Messerstichen hingerichtet. Die Forouhars gehörten zu den führenden Politikern der Opposition im Iran zur Schahzeiten und waren die ersten Opfer einer neuen Terrorwelle im Gottesstaat. Die Erinnerungen Parastou Forouhars, die seit dreizehn Jahren in Deutschland lebt, an die Zeit unmittelbar nach dem Massaker sehen so aus: „Dienstag den 24. November 1998, 15.25 Uhr, eine Lufthansamaschine von Frankfurt kommend, landet in Teheran. Der erste Gang führte Parastou Forouhar zur Staatsanwaltschaft, um dort eine schriftliche Klage wegen des Mordes an ihren Eltern Dariush und Parwaneh Forouhar einzureichen. Sie bittet darum den Tatort besichtigen zu dürfen – es werden ihr fünfzehn Minuten gewährt – in dem Haus in dem sie aufgewachsen ist. Es scheint als wären die Räume nicht merklich in Unordnung gebracht, alles sieht relativ normal aus. Wenige Stunden später identifiziert sie die Leichnahme ihrer Eltern. Sie muss darauf bestehen, die vollständigen Körper zu sehen. Die von Messerstichen an mehreren Stellen aufgeschlitzten Brustkörbe beider Körper waren nachträglich wieder zusammengenäht worden. Ein Bericht der Gerichtsmedizin wurde Forouhar verweigert und auch das Elternhaus wurde ihr nicht übergeben.“
Etwa sechs Wochen später, am 5. Januar 1999 gibt der Geheimdienst in einem öffentlichen, unklar formulierten Schreiben zu, in den Doppelmord verwickelt zu sein: das Verbrechen sei von einer unabhängig agierenden Gruppe innerhalb der Organisation verübt worden, hieß es in dem Schreiben. Als wäre eine unabhängig agierende Gruppe in diesem streng überwachten Regime überhaupt denkbar.
Die Auseinandersetzung mit dem politischen Regime
Während sich die künstlerische Arbeit der 41-Jährigen vor den Morden an ihren Eltern im wesentlichen mit der Kultur des Islam beschäftigte, mischt sich nach dem Verbrechen die Auseinandersetzung mit dem politischen Regime in ihre Kunst . Der Kampf um die Aufklärung der Morde an ihren Eltern steht dabei in ihrer Ausstellung „Dokumentation“ im Mittelpunkt.
In dieser Arbeit zeigt sie auf weitgehend informativer Ebene die Reaktionen auf das Verbrechen an ihren Eltern sowie ihre vielen Bemühungen um dessen Aufklärung. Wut, Trauer und manchmal das Gefühl der Ohnmacht mag die Künstlerin empfinden, macht es aber nicht zum Tenor der Arbeit. Über Briefe, Zeitungsartikel, Interviewtexte, Fotos, Texte für Pressekonferenzen sowie über die Korrespondenz mit Politikern, Behörden und Institutionen gibt die Künstlerin einen Einblick in ihr Engagement und den damit verbundenen Kampf gegen die Bürokratie. Sämtliche Dokumente und Schreiben werden als Kopien ausgestellt. Presseberichte aus aller Welt sowie Briefe und eine Auswahl der Antworten sind an die Wand gepinnt. Ein Kopiergerät steht bereit, und ermöglicht dem Besucher diese Dokumente zu vervielfältigen und mitzunehmen. Das hier Gezeigte kreist um einen Einzelfall, der als solcher nicht übertragbar ist. Übertragbar ist jedoch all das, was durch die Dokumentation an Verhalten und Haltungen zum Vorschein kommt. Sie zeichnet ein düsteres Bild staatlicher Gewalt und eines Machtapparats, der unfähig ist, Vertrauen in das Individuum zu setzen und deshalb Kontrolle und Repressionen, bis hin zum Mord, einsetzt, um die Macht zu erhalten. Die Entscheidung, die persönliche Geschichte in den Kunstkontext zu tragen, war ein gewagter Schritt. Galeriebesuchern, die wie gewohnt Bilder von ihr sehen wollten, wurden nun persönliche Dokumente zugänglich gemacht. Ein Umstand, der ihr auch Kritik einbrachte. „ Das sei keine Kunst, sondern nur ihre Biografie“, bekam sie zu hören. Entscheidend ist jedoch, dass Forouhar dadurch die Veränderung in ihre künstlerischen Arbeit einbeziehen konnte und es für sie als Person und für ihre Arbeit wichtig war, das Verbrechen zu thematisieren.
Folter getarnt als Kindertapete
Ihr Anliegen ist es nicht zu schockieren, sondern zu informieren. Und doch könnte ihre Arbeit „Tausend und ein Tag“ die Überschrift „Komm näher der Schock sitzt tiefer“, tragen. Es ist eine Tapete die vorgibt häuslich zu sein, die auch in ein Kinderzimmer passen könnte, da sie anscheinend die Konturen von grazilen Ballett-Tänzerinnen zeigt. Bei genauerem hinsehen schwindet jedoch das Gefühl der Harmlosigkeit – und die vermeintlichen Ballett-Tänzerinnen werden zu Folterknechten und ihren Opfern.
Die Zurichtung des menschlichen Körpers, von anonym bleibenden Folterknechten erdacht, um ihren vielen gesichtslosen Opfern großmöglichste Schmerzen zuzufügen. Einigen der Figuren lasten schwere Felsbrocken auf dem Rücken, andere müssen auf dünnen Pfählen die Balance halten, hängen kopfüber an Stangen herunter, wieder andere werden in Säcke gesteckt, oder ihnen wird die Kehle durchgeschnitten. Damit das Blut nicht auf den Boden fließt, wird es in Schüsseln aufgefangen. Das Blut der Schuldiggesprochenen darf nach altpersischer Überlieferung nicht auf den Boden gelangen, damit sich das „Böse“ nicht vermehrt. Das Blut hebt sich in den Darstellungen auf der Tapete braunrot gegen die hautfarbenen Figuren ab. Die Verletzlichkeit der Körper wird durch ihre Hautfarbe betont. Auch Steinigungen und Auspeitschungen sind zu sehen, gemeinhin nach islamischer Vorschrift die Strafe für Frauen, die Ehebruch begangen haben – zu erkennen sind diese am langen Haar. In ähnlicher Weise sind die Waffen ästhetisiert: Die Peitschen und Säbel erscheinen wie lange Mähnen; an den ausgestellten, vorgeführten Körpern der Geschundenen soll der Akt der Justiz für alle sichtbar werden. Deshalb muss die Hinrichtung Aufsehen erregen, „sie muss von allen zur Kenntnis genommen werden – als Triumph der Justiz.“
Gegnerin zu sein kostet viel Kraft
Dass eine Frau, deren Biografie so schmerzhaft ist wie die von Forouhar, mit einer solchen Leichtigkeit und Kraft an ihre Arbeiten geht, erstaunt. Oft genug wurde sie in Behörden oder Gerichten im Gottesstaat drangsaliert, gegängelt oder bespitzelt. Willkür und absurde Szenen in den Amtsstuben sind ihr nicht fremd. Aber anders als noch in ihrer Arbeit „Dokumentation“, die Parastou Forouhars Bemühungen um die Aufklärung der Morde an ihren Eltern dokumentierte, verlässt sie bei ihren Zeichnungen „Schuhe ausziehen“ die rein persönliche Ebene. Ein knapper Satz kommentiert die Situation vor dem Militärgericht, bei der Dokumenteneinsicht, oder in einem Imbiss. „Gerade sitzen“, „Schuhe ausziehen“. Keine der Personen hat ein Gesicht, nur ein blinder Fleck leuchtet dem Betrachter entgegen. Da war sie einmal die Persönlichkeit, das individuelle Schicksal; hier sind alle gleich, im schlechtesten nur denkbaren Sinne, denn sie sind nichts. Nur die Mächtigen, Ajatollahs und Militärs heben sich ein wenig ab. Der Bart gibt ihrem Antlitz Kontur. Die Leichtigkeit, die Forouhar ihren Zeichnungen aber trotzdem verpasst und die an ein Comic erinnern, stellt sich vor allem dann ein, wenn sie wieder zurück in Deutschland ist. „Wenn ich das Ganze Revue passieren lasse, kommt mir das System und der religiöse Aspekt, den ich dort erlebt habe, so absurd vor.“
Den Kampf nicht aufgeben
Seit des Massakers an ihren Eltern, tritt Forouhar jedes Jahr im November eine Reise in den Iran an. Sie gilt der Zeremonie des Jahrestages der Ermordung ihrer Eltern. Aber es ist mehr als das Trauern um die liebsten Menschen, die sie verloren hat, es ist eine Gedenkfeier die zehn Tausende Iraner und Iranerinnen jährlich nutzen, um für Demokratie zu demonstrieren. Die Veranstaltung hat im Laufe der Jahre politischen Symbolcharakter erlangt. Sie bündelt den Widerstand der Andersdenkenden, die über Jahre der Repressionen des Regimes der Islamischen Republik ausgesetzt sind.
Das Parastou Forouhar deshalb immer wieder auf Widerstand seitens der Sicherheitskräfte des Regimes stößt, verwundert kaum. Drei Wochen lang musste sie auch 2003 wieder täglich Amtsgänge erledigen, um eine offizielle Genehmigung zur Gedenkfeier zu erhalten. Während ihr der iranische Innenminister eine mündliche Zusage machte, die Veranstaltung an einer angemessenen Örtlichkeit innerhalb der Stadt abzuhalten, erteilten ihr die Sicherheitskräfte nur eine Erlaubnis für den Teheraner Großfriedhof, der weit außerhalb der Stadt liegt. Auch der von den Organisatoren öffentlich bereits angekündigte Termin am 21. November wurde kurzerhand auf den 23. November verlegt. Die Begründung: „die Sicherheit der Teilnehmer könne sonst nicht gewährleistet werden.“
Erst in letzter Minute gelang es schließlich doch, die Versammlung an einem traditionellen Ort innerhalb der Stadt abzuhalten.
Während ihres letzten Aufenthalts im Iran hat sich Forouhar mehrmals an die parlamentarische Untersuchungskommission namens „Kommission für den Artikel 90“ gewandt. Dort haben vor drei Jahren die Hinterbliebenen der Opfer der politischen Morde 1998 eine Klage eingereicht. Der Vorsitzende der Kommission gestand ihr gegenüber, dass die Untersuchungen nicht zu Ende geführt werden können, da sie bei ihren Ermittlungen auf Personen gestoßen sind die aufgrund ihrer politischen Macht Immunität genießen und deshalb nicht vorgeladen werden können. Dies ist ein Beweis dafür, dass im Gegensatz zu den bereits verurteilten „Bauernopfern“ die Hintermänner, die diese Mordbefehle erteilt hatten, noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Um so wichtiger ist ein Schreiben Forouhars an die Kommission, mit der Forderung die Ermittlungen bis zum Ende ihrer Legislaturperiode nächsten Winter zu Ende zu führen.
Und auch, wenn die Forderung ohne Reaktion bleiben sollte, dass Forouhar mit ihrem politischen Engagement und ihrer Kunst für Öffentlichkeit auch in der westlichen Bevölkerung und unter Politikern sorgt, lässt ihre Landsmänner- und frauen weiter hoffen – auf dem langen, steinigen Weg zur Demokratie.
< Back